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Kamera statt Auge

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Netzhautimplantat: Kamera statt Auge - mit neuem "Orion-System"

Über eine neue Art von Hirnimplantaten berichtet Emily Mullins in einem Artikel auf heise.de:

Kamera statt Auge

Erste Systeme, die manche Blinde mit Hilfe von Computertechnik wieder sehen lassen, gibt es bereits. Ein US-Unternehmen möchte jetzt fast das ganze Auge mit Kameras und Elektroden ersetzen und so mehr Menschen helfen.

Neues Konzept eines Hirnimplantats

Der Hersteller der weltweit ersten künstlichen Retina, die Menschen mit einer bestimmten Art von Blindheit einen Teil ihres Sehvermögens zurückgeben kann, beginnt eine klinische Studie mit einem Hirnimplantat, das potenziell für deutlich mehr Patienten geeignet ist.

Mit den Tests will Second Sight herausfinden, ob ein Elektroden-Array auf der Oberfläche des Gehirns Menschen helfen kann, die teilweise oder vollkommen blind geworden sind. An derartigen Hirnimplantaten wird seit Jahrzehnten geforscht, bislang aber mit nur mäßigem Erfolg. Wenn das Konzept von Second Sight funktioniert, könnten Millionen von Blinden in der ganzen Welt profitieren, auch solche, die ein Auge oder beide Augen verloren haben.

Bionisches Auge weiterentwickelt

Bei dem neuen System namens Orion handelt es sich um eine Weiterentwicklung des bionischen Auges Argus II, das aus einer Brille mit Kameras und einem externen Prozessor besteht. Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat Second Sight eine vorläufige Genehmigung dafür erteilt, Orion bei fünf Patienten an zwei unterschiedlichen Orten zu testen, am Baylor College for Medicine und an der University of California in Los Angeles. Vor Beginn der Studie muss das Unternehmen weitere Vortests vornehmen und einige Fragen beantworten. Die ersten Patienten sollen dann im Oktober rekrutiert werden, die ersten Eingriffe bis Ende des Jahres erfolgen.

Bisher verfügbare Prothesen für RP

Argus II wurde in Europa schon im Jahr 2011 zugelassen, 2013 folgten dann die USA. In Europa sind außerdem zwei weitere Retina-Prothesen auf dem Markt, eine von dem französischen Unternehmen Pixium Vision und eine vom deutschen Anbieter Retina Implant.

Diese so genannten bionischen Augen sind dazu gedacht, Patienten mit einer genetischen Augenerkrankung namens Retinitis pigmentosa ein gewisses Sehvermögen zurückzugeben. Bei der Krankheit geht die Sehfähigkeit allmählich verloren, weil die lichtempfindlichen Fotorezeptor-Zellen in der Retina, also der inneren Augenhaut, versagen.

Davon betroffen sind nach Schätzungen 1,5 Millionen Menschen weltweit; insgesamt gibt es laut der Weltgesundheitsorganisation 39 Millionen Blinde auf der Welt.

Neue Hoffnung mit neuer Version

Laut Robert Greenberg, dem Board-Vorsitzenden von Second Sight, wurden bislang erst etwa 250 Exemplare von Argus II verkauft, weniger als von ihm erwartet. Das Gerät kostet etwa 150.000 Dollar und bringt nur einen kleinen Teil der Sehfähigkeit zurück. Nur 15 Zentren in den USA bieten die Technologie an. Die neue Version, so Greenbergs Hoffnung, soll von deutlich mehr Patienten genutzt werden.

Argus II arbeitet mit einer auf einer Brille befestigten Kamera. Die von ihr aufgenommenen Bilder werden an einen kleinen Prozessor am Körper des Patienten gesendet, der sie mit Spezialsoftware in einen Satz von Instruktionen umwandelt und an den in der Nähe der Retina implantierten Chip weiterleitet. Als Abfolge von elektrischen Impulsen werden diese Instruktionen dann an ein Elektroden-Array gesendet, das ebenfalls um das Auge herum implantiert wird.

Helfen kann diese Technologie bei Retinitis pigmentosa, weil diese Krankheit nur spezialisierte Fotorezeptoren zerstört, während die übrigen Retina-Zellen intakt bleiben. Diese Zellen können die visuellen Informationen über den Sehnerv an das Gehirn leiten.

Ersetzung des Auges und des Sehnervs

Das neue Orion-System beruht zu 90 Prozent auf Argus II, umgeht aber das menschliche Auge weitestgehend. Stattdessen wird ein Elektroden-Array auf dem visuellen Cortex platziert, also dem Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung von visuellen Informationen zuständig ist. Wenn hier elektrische Impulse eintreffen, dürfte das Gehirn ebenfalls Lichtmuster wahrnehmen.

"Bei manchen Arten von Blindheit ist der Sehnerv beschädigt, so dass man tiefer ansetzen muss. Mit Orion ersetzen wir im Prinzip das Auge und den Sehnerv komplett", sagt Greenberg. Potenziell können die Technologie "jedem helfen, der seine Sehfähigkeit verloren hat, unabhängig von der Ursache dafür".

Nach Schätzungen von Second Sight wären weltweit 400.000 Patienten mit Retinitis pigmentosa für eine Behandlung mit Argus II geeignet. Hinzu kommen aber rund 6 Millionen Menschen, die wegen nicht-genetischen Ursachen wie Krebs, Diabetes, grünem Star oder Verletzungen nicht sehen können – sie alle sind theoretisch Kandidaten für das neue Orion-System.

Autorin: Emily Mullin

Quelle: Heise Online Technology Review