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Kennzeichnung von Blinden und Sehbehinderten im Straßenverkehr

von Georg Riederle

Beim Thema Kennzeichnungspflicht sollte man sich über die rechtlichen Folgen ihrer Ignorierung im Klaren sein. § 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung - FeV vom 18. August 1998, BGBl Teil I 1998, S. 2214) bedeutet für blinde - und wohl auch für hochgradig sehbehinderte - Fußgänger eine erhebliche Einschränkung der Grundregeln des § 1 FeV.

Während § 1 FeV grundsätzlich jede Person zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zulässt, soweit nicht für die Zulassung zu einzelnen Verkehrsarten eine Erlaubnis vorgeschrieben ist, macht § 2 FeV Ausnahmen.

FeV § 2 Eingeschränkte Zulassung

  1. Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge, namentlich durch das Anbringen geeigneter Einrichtungen an Fahrzeugen, durch den Ersatz fehlender Gliedmaßen mittels künstlicher Glieder, durch Begleitung oder durch das Tragen von Abzeichen oder Kennzeichen, obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen.
  2. Körperlich Behinderte können ihre Behinderung durch gelbe Armbinden an beiden Armen oder andere geeignete, deutlich sichtbare, gelbe Abzeichen mit drei schwarzen Punkten kenntlich machen. Die Abzeichen dürfen nicht an Fahrzeugen angebracht werden. Blinde Fußgänger können ihre Behinderung durch einen weißen Blindenstock, die Begleitung durch einen Blindenhund im weißen Führgeschirr und gelbe Abzeichen nach Satz 1 kenntlich machen.
  3. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen die in Absatz 2 genannten Kennzeichen im Straßenverkehr nicht verwenden.

Auch wenn § 2 Abs. 2 S. 3 FeV im Zusammenhang mit dem weißen Stock nur Blinde erwähnt, dürfen ihn sicher nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch hochgradig Sehbehinderte im Verkehr benutzen. (Die Verhängung eines Bußgeldes gegen Sehbehinderte gem. §§ 75 i.V.m. § 2 Abs. 3 FeV ist also nicht möglich.) Nach § 1 FeV ist zum Verkehr auf öffentlichen Straßen jeder zugelassen, soweit nicht für die Zulassung zu einzelnen Verkehrsarten (z. B. Führen eines Kraftfahrzeugs) eine Erlaubnis vorgeschrieben ist.

Die Kennzeichnungspflicht nach § 2 FeV ist in der Sache eine Konkretisierung von § 1 Abs. 2 StVO. Nach dieser Vorschrift gilt:

  1. Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
  2. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Konkrete ergänzende Verhaltensvorschriften enthalten die Bestimmungen des § 25 StVO (Fußgänger) und des § 28 StVO (Mitführen von Tieren). Nur eben durch ein ausreichendes O- & M-Training ist ein blinder/hochgradig sehbehinderter Verkehrsteilnehmer heutzutage noch in der Lage, andere nicht zu gefährden oder gar zu beschädigen. Grundsätzlich kann jeder Verkehrsteilnehmer auf ein verkehrsgerechtes Verhalten auch blinder Verkehrsteilnehmer vertrauen.

Wichtiger als die straf- und bußgeldrechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Kennzeichnungspflicht sind bei einem Verkehrsunfall ihre zivilrechtlichen (BGB §§ 823 ff.: Schadensersatz wegen unerlaubter Handlungen).

"Wenn die vorgeschriebene Kennzeichnung fehlt, wird von den Gerichten sehr leicht prima facie, also nach erstem Anschein, von einem Verschulden des unbegleiteten Behinderten ausgegangen.

Wenn das Verkehrsschutzzeichen verwendet wurde, hat das zur Folge, dass die übliche Beweislastverteilung gilt, nach welcher der Geschädigte beweisen muss, dass das Verschulden den blinden oder sehbehinderten Verkehrsteilnehmer trifft. Aber auch wenn der nicht begleitete blinde oder sehbehinderte Verkehrsteilnehmer einen Schaden erlitten hat, wird bei fehlender Kennzeichnung der Nachweis, dass den anderen Verkehrsteilnehmer das Verschulden trifft und dieser deshalb schadensersatzpflichtig ist, erheblich erschwert" (zitiert nach Dr. H. Demmel und Th. Drerup in "Schriftenreihe Blindenrecht", Heft 04).

Auch wenn einen Autofahrer die überwiegende Schuld an einem Unfall eines blinden/hochgradig sehbehinderten Verkehrsteilnehmers trifft, wird diesem von der Rechtsprechung schon aufgrund fehlender Kennzeichnung ein Mitverschulden (§ 254 BGB) angelastet, was zumindest eine Herabsetzung - wenn nicht sogar einen Ausschluss - des Schadensersatzanspruchs des Blinden bewirkt.

Das OLG Hamburg hat mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1963 einem Führhundnutzer ein Mitverschulden angelastet, weil er sich nicht von sehenden Passanten über eine verkehrsreiche Straße führen ließ! Entsprechendes könnte in einer besonderen Verkehrssituation auch einem Langstockbenutzer passieren.

Kommt es durch die Verletzung der Kennzeichnungspflicht zu einer Körperverletzung oder gar Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers, so kann das für einen blinden Menschen bedeuten, dass er sich in einem Strafprozess dafür verantworten muss (vgl. dazu näher G. Hennies, Der Blinde im Recht, S. 133 ff.).

Die Voraussetzungen und Konsequenzen der Verkehrspflichten behinderter Verkehrsteilnehmer gemäß der FeV und der StVO müssen m. E. mehr als bisher auch Krankenkassen-Sachbearbeitern klar gemacht werden. Häufig sehen sie im O- & M-Training nur eine Gebrauchsschulung zum Langstock (§ 33 SGB V) und nicht - wie es richtig wäre - ein Selbsthilfetraining eines blinden Menschen, das eine Schulung der Restsinne, ein Verkehrs- und ein Hilfsmitteltraining beinhaltet.