Möchten Sie die Darstellung der Website ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen?
Die Einstellungen können Sie auch später noch über das Symbol ändern.

Zum Inhalt springen

Politische Partizipation auf Landesebene

Seminarreihe – Teil 2

Joachim Leibiger, Thüringer Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen; Quelle: Thüringer Allgemeine Zeitung

25. Juni 2020, online

Referent: Joachim Leibiger, Thüringer Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen

Joachim Leibiger stammt aus Weimar und hat eine genetisch bedingte Netzhautdegeneration. 1990 war er an der Neugründung der PRO RETINA in den neuen Bundesländern maßgeblich beteiligt und ist seitdem ehrenamtlich in der Selbsthilfe des Blinden- und Sehbehindertenwesens in Thüringen aktiv.

Nach dem Abitur am Gymnasium für Sehbehinderte und Blinde in Königs Wusterhausen und dem Studium zum Betriebswirt in Erfurt, arbeitete er zunächst in Handel und Wirtschaft. Wegen seines nachlassenden Sehvermögens orientierte er sich um und absolvierte ein Studium an der Akademie für Verwaltungsrecht in Potsdam Babelsberg. Nach mehreren Stationen in der öffentlichen Verwaltung wurde er 2016 zum Beauftragten für Menschen mit Behinderungen des Freistaates Thüringen berufen. Seit Ende 2019 das neue Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) in Kraft trat, ist dieses Amt dem Landtag zugeordnet. Der Thüringer Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen wird von Abgeordneten des Landtages für 6 Jahre gewählt, agiert unabhängig und setzt sich für mehr Teilhabe und eine inklusive Gesellschaft in Thüringen ein. Denn Inklusion trägt dazu bei, dass sich die Demokratie weiterentwickelt. Unter dem Motto „Behinderung findet in der Zivilgesellschaft statt und muss auch offen dort besprochen werden“ arbeitet Herr Leibiger eng mit Vereinen und Verbänden, Politik und Verwaltung, Institutionen aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie der gesamten Zivilgesellschaft zusammen.

Für eine wirkliche Teilhabe ist finanzieller Ausgleich nötig. Hilfsmittel und Arbeitsassistenzen müssen bezahlt werden. Deshalb setzte sich Herr Leibiger dafür ein, dass das 2010 wieder eingeführte Landesblindengeld, das zwischendurch sogar einmal ganz abgeschafft war, aufgestockt wurde. Mitte 2018 erfolgte eine deutliche Erhöhung des Sinnesbehindertengeldes, so heißen die Leistungen in Thüringen, die blinden, gehörlosen und taubblinden Menschen zustehen.

Als Vorsitzender des Ombudsrates für inklusive Bildung setzt sich der Landesbeauftragte für die Anliegen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein. Seiner Meinung nach sind Förderschulen nur teilweise berechtigt, denn Kinder sollen so gut wie möglich gefördert werden.

Der Landesbehindertenbeirat wurde umstrukturiert und ist vom Thüringer Sozialministerium in die Verantwortung des Landtags übergegangen. Nur die Vertreter von Interessensverbänden der Betroffenen sind stimmberechtigt und der Beirat hat an Unabhängigkeit und Durchschlagskraft gewonnen, da nun auch die politisch maßgeblichen Akteure an Bord sind. Damit wurde eine neue Qualität der Partizipation erreicht.

Die neu geschaffene Landesfachstelle für Barrierefreiheit wird künftig die Landespolitik und die Kommunalen Beauftragten bei Anfragen zu Themen der Barrierefreiheit in den Bereichen Bauen, Verkehr und Digitales beraten.

Die Landesdurchsetzungsstelle für digitale Barrierefreiheit hat das Ziel Barrieren auf Webseiten und Apps von öffentlichen Einrichtungen, Kommunen oder sonstigen Thüringer Institutionen möglichst schnell abzubauen.

Alles was die Regierung macht, muss im Plenum bestätigt werden. Man kann über die Ausschüsse, durch Gespräche mit den Abgeordneten oder aktuell über die Wahlprüfsteine auf die politischen Entscheidungen einwirken. Um inklusive Ziele durchzusetzen ist es ebenso wichtig, dass die Maßnahmen auch umgesetzt werden. Föderalismus ist beim Durchsetzen der Gesetze nicht immer hilfreich, da jedes Bundesland andere Regelungen hat.

Im Parlament wurde ein Förderprogramm für Barrierefreiheit abgesegnet und ins Budget eingeplant. 2,5 Millionen Euro Fördermittel stehen bis 2023 den Behindertenverbände für geeignete Projekte zur Verfügung. „Es wird nie 100% Barrierefreiheit geben“, so Leibiger. Trotzdem ist die Forderung nach Barrierefreiheit richtig und wichtig, aber Kompromisse sind notwendig. Wenn Richtlinien verletzt oder nicht umgesetzt werden müsste es Strafen, Bußgelder o. ä. geben.

Eine wichtige Säule bei der Umsetzung sind die Kommunalen Behindertenbeauftragten, denn in den Kommunen findet das Leben, Wohnen und Arbeiten statt. Dort treten die Barrieren auf und dort können Lösungen gefunden, Kompromisse geschlossen und Barrieren verringert werden.

Wichtig, um die Ziele auf dem Weg zu mehr Teilhabe und Inklusion zu erreichen, ist es Allianzen zu bilden. Nur wenn die Menschen mit Behinderung an einem Strang ziehen, sind ihre Forderungen auch durchsetzbar.

Mit der Seminarreihe „Politische Partizipation“ wollen wir alle PRO RETINA Mitglieder ermutigen, sich zu engagieren und ihre Belange ins öffentliche Leben einzubringen.

Als nächstes ist in der Reihe das Thema „Teilhabe auf kommunaler Ebene“ geplant.

Porträtaufnahme eines Mannes mit angegrautem Vollbart und in falten gelegter hoher Stirn, der ein graues Sacco trägt und darunter ein weiß-blau kariertes Hemd.

„Behinderung findet in der Zivilgesellschaft statt und muss auch offen dort besprochen werden“

 

 

Joachim Leibiger, Thüringer Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen