Von Redakteurin Christiane Bernshausen
Dr. Claus Gehrig ist PRO RETINA Mitglied seit 1997. Von Beginn an sind ihm die Kontakte mit Gleichbetroffenen sehr wichtig gewesen: "Diese haben mir persönlich – anfangs wie ein ‚Aha-Erlebnis‘ – gezeigt, dass ich mit meiner Seheinschränkung und allen damit verbundenen psychosozialen Folgen nicht allein stehe. Ich bin dabei vielen Menschen begegnet, die ich ohne meine Retinitis pigmentosa (RP) nie kennengelernt hätte."
Sein Interesse an und sein Wunsch nach dem Bewältigen der eigenen Erkrankung, der Austausch mit anderen Betroffenen und die gegenseitige Unterstützung brachten ihn und Ehefrau Martina zur Regionalgruppe Freiburg, die sie ab 2003 über 17 Jahre lang gemeinsam geleitet haben. Die Ehrenmitgliedschaft erhielt er nach seiner mehrjährigen Tätigkeit als Vorsitzender der PRO RETINA.
Für Claus Gehrig ist es wichtig, immer auf dem aktuellen Stand zu sein und diese aktuellen und verlässlichen Informationen zu Netzhautdegenerationen, etwa zu den unterschiedlichen Krankheitsbildern, den Behandlungsmöglichkeiten und dem Forschungsstand, weiterzugeben. Die Betroffenen sollen vernetzt werden und eine Stimme erhalten. Sie sollen ihre Erkrankung verstehen und eine Begleitung bei der Krankheitsbewältigung erhalten. Ärzteschaft und Forschende sollen motiviert werden, sich mit diesen teilweise sehr seltenen Erkrankungen zu beschäftigen und die Betroffenen aufzuklären.
Schwerpunkte der Tätigkeit für PRO RETINA
Als Mediziner hat er natürlich Interesse an medizinischen Themen rund um Netzhaut- degenerationen – daraus resultiert auch die Mitarbeit im Fachbereich (FB) Forschung und Therapie, der jetzt FB Diagnose und Therapie heißt, sowie im Arbeitskreis Klinische Fragen (AKF) des Wissenschaftlichen und Medizinischen Beirats der PRO RETINA. Eng verbunden ist Gehrig mit der Interessenvertretung für die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Netzhautdegenerationen. Neben der Forschungsförderung ist dies eine weitere wichtige Säule der PRO RETINA. Hier bringt er sich intensiv ein, um die aus der Perspektive der Betroffenen relevanten Themen zu setzen.
Gemeinsamer Bundesausschuss
Claus Gehrig sagt über seine Arbeit in der Gesundheitspolitik, insbesondere im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA): "In das weite Feld rund um das Gesundheitswesen und die Fragen der Patientenversorgung kann man sich in unterschiedlicher Weise einbringen. Da aber in diesem Bereich Entscheidungs- und Veränderungsprozesse lange Zeit benötigen, braucht es einen langen Atem; kurzfristige Erfolge können nicht erwartet werden. Ich möchte dazu beitragen, dass die teilweise kostspieligen Fortschritte in Diagnostik und Therapie letztlich auch in der praktischen Versorgung der Betroffenen ankommen. Ich bin Mitglied im verbandsübergreifenden Arbeitskreis Gesundheitspolitik sowie Patientenvertreter bei ophthalmologischen Themen in der Gremienarbeit beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)."
Dazu muss man wissen, dass der G-BA das wichtigste Entscheidungsgremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitssystem ist. Dort entscheiden die Vertretungen der Leistungserbringer (Kassenärztinnen und -ärzte, Krankenhäuser) einerseits und der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) andererseits sowie drei vom Gesundheitsausschuss des Bundestags ernannte unparteiische Mitglieder darüber, welche medizinischen Leistungen in der Regelversorgung zu Lasten der GKV erbracht werden können. Patientenvertreter müssen für die Mitwirkung beim G-BA von einer Koordinierungsstelle explizit benannt werden und sie werden von einer hauptamtlich arbeitenden Stabsstelle unterstützt. Die Patientenvertretung beim GBA hat ein volles Antrags- und Mitberatungsrecht, jedoch bei den abschließenden Entscheidungen kein Stimmrecht.
Gehrig erklärt: "Die umfangreiche Arbeit des G-BA gliedert sich in neun Arbeitsschwerpunkte. Seit zehn Jahren bin ich in den Arbeitsbereichen Arzneimittel und Methodenbewertung als themenbezogener Patientenvertreter bei ophthalmologischen Beratungsthemen eingebunden. Das beinhaltet die mehr oder weniger regelmäßige Mitberatung in themenspezifischen Arbeitsgruppen, die in den zurückliegenden Jahren mit etwa 20 Fahrten pro Jahr nach Berlin verbunden waren. Seit Beginn der Pandemie finden die Beratungen vorwiegend als Videokonferenz statt."
Nutzen für Patientinnen und Patienten
Von zentraler inhaltlicher Bedeutung bei der Arbeit des G-BA ist die Beurteilung des Patientennutzens eines Arzneimittels oder einer nichtmedikamentösen Maßnahme. Dabei muss im Rahmen der sogenannten evidenzbasierten Medizin anhand der vorhandenen wissenschaftlichen Datenlage bewertet werden, ob ein neues Arzneimittel oder ein neues diagnostisches oder therapeutisches Verfahren Vorteile für Patientinnen und Patienten gegenüber den bereits etablierten Standardverfahren bietet. Auf der Basis dieser Bewertung des G-BA verhandeln beispielsweise anschließend der Hersteller eines neu eingeführten Arzneimittels und der Spitzenverband der GKV über die Höhe des Erstattungsbetrags, den die Krankenkassen für dieses Arzneimittel nach dem ersten Jahr bezahlen. Im Bereich Methodenbewertung war Gehrig als Patientenvertreter beispielsweise an den Verfahren zur Aufnahme der Optischen Kohärenztomographie (OCT) zur Therapiesteuerung bei der intravitrealen Injektionsbehandlung in den GKV-Leistungskatalog oder auch an der Durchführung einer Erprobungsstudie zur Transkornealen Elektrostimulation bei RP beteiligt.
Die Zukunft der PRO RETINA
Die diagnosespezifischen und medizinischen Schwerpunkte, die zur Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten beitragen sowie die Forschungsförderung, die von der PRO RETINA-Stiftung zur Verhütung von Blindheit vorangetrieben wird, stellen laut Gehrig weitgehend ein Alleinstellungsmerkmal der PRO RETINA dar und dürfen neben allen anderen Tätigkeiten als Kernelement und Markenzeichen nicht verloren gehen. Dr. Gehrig ist sich sicher, dass in den kommenden Jahren auch für bislang nicht behandelbare Netzhautdegenerationen zunehmend Therapien auf den Markt gelangen werden. Daher weist er schon jetzt darauf hin, dass man künftig in der Patientenversorgung darauf achten müsse, dass solche – teilweise sehr kostspieligen – Innovationen für Patientinnen und Patienten zugänglich, aber auch für die Solidargemeinschaft finanzierbar seien.
Dr. Claus Gehrig lebt zusammen mit Ehefrau Martina im südbadischen Friesenheim. Seit 18 Jahren ist er vollständig erblindet. In seiner Freizeit hört er gern Hörbücher, treibt Sport, löst Sudokus und verbringt viel Zeit mit der Familie. Sein gesundheitpolitisches Engagement hält ihn auf Trab. Seine weitreichende Expertise ist gefragt, nicht zuletzt im Rahmen diverser PRO RETINA Seminare und Veranstaltungen – so befindet er sich quasi in einer Art PRO RETINA Unruhestand.