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Alles bleibt für immer anders
Ein Erfahrungsbericht von Elo Schröder-Hanisch
Mein Mann und ich hatten langfristig geplant und noch vieles Aufgeschobene vor. Mein Mann wurde pensioniert, so kam der Plan zustande, für ein Sabbatjahr zu sparen und nach meiner, sich daran anschließenden Pensionierung, wollten wir uns um die Dinge kümmern, die wir lange Zeit aufgeschoben hatten. Dann kam vor gut fünf Jahren die Diagnose AMD. Wir wussten, was das bedeutet, da mein Schwiegervater ebenfalls an AMD erkrankt ist. Zu wissen, dass die Erkrankung nicht zu einer völligen Erblindung führt, war dabei kein Trost. Nach einem Jahr war das Autofahren für Mike nicht mehr möglich – im Gegenzug übernahm ich immer mehr Aufgaben. Außerdem wurde uns zunehmend bewusst, welchen Verlust die Erkrankung mit sich bringt. In der Endphase meiner Berufstätigkeit stand zunächst das Funktionieren im Vordergrund, zumal ich mich auch noch um meine hoch betagte Mutter kümmere. Unser Traum war es gewesen, gemeinsam als Rentnerin und Rentner mit dem Wohnmobil durch Europa zu reisen. Dieser Traum war nun geplatzt.
Von dieser Erkrankung ist nicht nur eine oder einer betroffen, sie betrifft beide Menschen in einer Partnerschaft. Man informiert sich, aber das hilft nicht dabei, die Dreiecksbeziehung Ich-Du-Krankheit zu bewältigen. Es gibt so viele Situationen, in denen man sich von Träumen verabschieden muss. Hinzu kommen Situationen des Gefordert-Seins und des Überfordert-Seins, der Trauer und Wut, der Enttäuschung, vor allem auch der empfundenen Schuld oder Scham bei Meinungsverschiedenheiten oder Wünschen, die geäußert werden. Und es braucht viel Zeit. Zeit, um Unsicherheiten anzusprechen, zu verzeihen und um auch mal um Verzeihung zu bitten und Vertrauen wieder zu stärken. Gemeinsamkeiten müssen neu gestaltet und gelebt, Aktivitäten verändert werden. Manchmal tut Ehrlichkeit dann auch weh.
Ständig gibt es neue Herausforderungen und Anliegen: „Kannst Du mal eben …” , „Schaust Du mal …”, „Ich kann das nicht lesen/sehen …”. Wir haben uns ein Versprechen gegeben: „In guten wie in schlechten Zeiten” – wir sind dazu bereit, aber es bleibt ein Prozess mit wechselndem Erfolg. Besonders dann, wenn die Angst wieder kommt vor der Unberechenbarkeit oder dem weiteren Verlust von Selbständigkeit.
Wichtig ist für mich, dass wir gemeinsam kleine Fluchten einplanen, in denen wir sorglos sein können: Wenn wir unterwegs sein können und Naturerfahrungen genießen oder Kurzurlaub vom Alltag machen mit Rundumversorgung in einem Hotel am Meer oder an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen. Wir haben unsere wichtigen alltäglichen, genussvollen Rituale kultiviert, zum Beispiel reden wir miteinander bei einem Kaffee am späten Vor- und Nachmittag, wir kochen Leckeres zusammen und genießen unser Heim.
Spannend ist es auch herauszufinden, was alles noch möglich ist und was sogar neu entstehen kann: Wir haben ein Zelt gekauft, das ich allein aufbauen kann, sodass das Campen möglich ist – oder auch einen neuen Fahrradständer für die Anhängerkupplung. Wenn das Wetter hell und sonnig ist, können wir noch radeln. Dann navigiere ich per Zuruf, informiere über Wegequalität oder Verkehrslage. Das ist schön und herausfordernd zugleich. Wir haben uns bei einer Beratungsstelle Hilfe geholt und auch das PRO RETINA Partnerseminar belegt. Beides war und ist ein großer Gewinn für uns, um mit der Wut und der Trauer umzugehen.
Der Trauersee ist wie ein Stausee unterschiedlich gefüllt, jedoch leert er sich nie komplett. Wir reflektieren immer wieder, wie wir die eigenen Freiräume erhalten können und wie weit die Selbstverantwortung geht. Diese Behinderung ist tatsächlich eine „Partnerkrankheit”. Ich frage mich, warum sich so wenige Angehörige und Partner – also an Sehbehinderung Miterkrankte – in Angehörigengruppen engagieren und den Austausch suchen, denn aus eigener Erfahrung weiß ich, wie hilfreich dies in verzweifelten Situationen sein kann.