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Altersblindheit: Patienten wird das Recht auf eine qualitätsgesicherte Therapie vorenthalten

Altersblindheit: Patienten wird das Recht auf eine qualitätsgesicherte Therapie vorenthalten

Streit zwischen den Spitzenverbänden von Krankenkassen und Ärzten verhindert, dass von Erblindung bedrohte Patienten einen geregelten Zugang zur qualitätsgesicherten Therapie erhalten.

Diese sollte zum 1. April 2009 endlich in das Leistungsverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Doch wieder einmal wurde die Entscheidung vertagt. Daher herrscht Chaos in der Versorgung der Patienten.

Die Selbsthilfeorganisationen PRO RETINA Deutschland e.V. und Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) reagieren nicht nur mit Unverständnis, sondern auch mit konkreter Hilfe für die Betroffenen: Unter www.dbsv.org/makula wurden jetzt aktuelle Tipps zusammengestellt, die Augenlicht retten können.

Pro Woche erhalten schätzungsweise 1000 Menschen in Deutschland die Diagnose, dass ihnen Erblindung droht: Der Arzt teilt ihnen mit, dass sie an der feuchten Form der Altersabhängigen Makula-Degeneration (AMD) leiden, einer Augenkrankheit, die zum Sehverlust führt, wenn sie nicht baldmöglichst im Frühstadium behandelt wird.

Seit drei Jahren steht eine solche Therapie zur Verfügung. Der Augenarzt spritzt wiederholt ein Medikament in den Augapfel, das den Sehverlust stoppen und die Sehfähigkeit sogar wieder verbessern kann. Doch für gesetzlich versicherte Patienten gibt es noch immer keinen geregelten Zugang zu dieser Therapie. „Nicht die medizinische Notwendigkeit entscheidet darüber, ob und wie die Patienten behandelt werden, sondern ihr Wohnort, ihre jeweilige Kassenzugehörigkeit und vor allem ihre Kraft und Fähigkeit, sich mit bürokratischen Hemmnissen und komplizierten Regelungen zu befassen“, kritisiert Gretel Schmitz-Moormann, AMD Patientensprecherin von PRO RETINA Deutschland e.V. „Ein klarer Fall von Systemversagen“, findet DBSV-Präsidentin Renate Reymann. „Die Auseinandersetzung zwischen Krankenkassen, Ärzten und Pharmaindustrie über Arzneimittelpreise und Arzthonorare wird auf dem Rücken der Patienten ausgetragen. " (Hintergrund-Infos zum Konflikt um die AMD-Therapie unter www.dbsv.org/makula)

Vom 1. April 2009 an sollte nun die ärztliche Behandlung der feuchten AMD in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Damit hätten nicht nur privat, sondern auch gesetzlich versicherte Patienten Anspruch auf die Behandlung – ein erster wichtiger Schritt. Doch die Auseinandersetzungen zwischen den Spitzenverbänden von Ärzten und Krankenkassen sorgten dafür, dass die Entscheidung wieder einmal vertagt wurde.

Zahlreiche Krankenkassen haben inzwischen mit Ärzten spezielle Vereinbarungen abgeschlossen. Auch diese gehen zu Lasten der Patienten. Die Vereinbarungen gelten nur für einen Teil der Versicherten und sind außerdem unterschiedlich. Meistens können die Ärzte aufgrund der Vergütung – die Kosten für das Medikament sind im Honorar enthalten – ausschließlich das billigere Medikament Avastin einsetzen. Dieses ist für die Therapie der AMD jedoch nicht zugelassen („off label“), und sollte daher nach Meinung von Experten nur im Rahmen klinischer Studien eingesetzt werden. Die Kassen beschneiden darüber hinaus das Recht ihrer Versicherten auf freie Arztwahl: Mit dem Hinweis auf solche Vereinbarungen werden die Patienten zu bestimmten Ärzten geschickt.

Keine einzige Institution – weder Aufsichtsbehörden noch die Gesundheitsministerien von Bund und Ländern oder Ärzteverbände – hat einen Überblick über die Vereinbarungen, deren Inhalte und vor allem über die erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Behandlung. Dies ergaben Recherchen von PRO RETINA Deutschland e.V. und DBSV. Es herrscht Intransparenz.

Die älteren und sehbehinderten Betroffenen haben daher keine Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen. Dies ist – angesichts des enormen Zeitdrucks zur Einleitung der Behandlung nach Diagnosestellung – auch unmöglich. Selbst wenn Patientenorganisationen wie PRO RETINA Deutschland e.V. und DBSV hier Transparenz herstellen wollen, um ihre Mitglieder zu informieren, wird dieses vereitelt: Die Bitten der Organisationen, derartige Verträge einzusehen, werden in der Regel aus juristischen Gründen abgelehnt.

Diese Situation ist aus Sicht von PRO RETINA Deutschland e.V. und DBSV nicht länger hinnehmbar. „Wir fordern von allen Beteiligten – von Krankenkassen, Ärzten und Pharmaindustrie – intensive Bemühungen, einen tragfähigen Kompromiss zu finden, der den Patienten einen unbürokratischen Zugang zur qualitätsgesicherten Therapie ermöglicht“, erklären Gretel Schmitz-Moormann und Renate Reymann. So habe beispielsweise der AOK-Bundesverband mit dem Hersteller eines der beiden zugelassenen Medikamente einen Rahmenvertrag abgeschlossen, der die Kostenübernahme regelt und eine Ausgabenobergrenze vorsieht. „Allerdings sind bislang nur vier AOK-Landesverbände diesem Rahmenvertrag beigetreten“, kritisiert Schmitz-Moormann, „und auch im Streit über das Arzthonorar muss ein Kompromiss gefunden werden.“

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) ist mit seinen rund 40.000 Mitgliedern die viertgrößte Selbsthilfeorganisation Deutschlands. Bundesweit werden in ca. 250 Beratungsstellen umfangreiche Serviceleistungen erbracht. Eines der vordringlichsten Verbandsziele ist es, die Lebenssituation der Augenpatienten in Deutschland ganzheitlich und nachhaltig zu verbessern. Die PRO RETINA Deutschland e.V. – Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhautdegenerationen – wurde 1977 von Betroffenen und deren Angehörigen als gemeinnütziger Verein gegründet, um sich selbst zu helfen. Es ist eine bundesweit tätige Organisation mit derzeit 64 Regionalgruppen und mehr als 6.000 Mitgliedern. Pro Retina e.V. bietet Informationen und Beratung und versteht sich als Interessenvertretung der Patientinnen und Patienten in der Öffentlichkeit. Um einen Beitrag zur Entwicklung wirksamer Therapien zu leisten, engagiert sich Pro Retina auch in der Forschungsförderung.