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Auf meinem Berufsweg habe ich die Weichen immer richtig gestellt

Ein Erfahrungsbericht

Portrait von Dietmar Polock
Portrait von Dietmar Polock

Ich kenne Retinitis pigmentosa schon von meiner Mutter. Sie war 46 Jahre alt, als die Sehschwäche diagnostiziert wurde, später wurde sie vollblind und blieb fast immer zu Hause. „Das ist wie Stubenknast“, dachte ich und schwor mir, anders zu leben.

Ich bin 1947 geboren, komme aus dem Ruhrgebiet und war noch nicht einmal ganz 14, als ich Bergmann wurde wie mein Vater. Von 1963 bis 1967 arbeitete ich unter Tage. Mit der Stirnlampe leuchtete ich jeden Arbeitsbereich gut aus, hatte also keine Probleme.

1967 gab es aber die erste Bergbaukrise. Deshalb schulte ich um, wurde Krankenpfleger, zunächst im Ruhrgebiet, dann zogen meine Frau und ich nach Berlin. Am Uni-Klinikum Steglitz wurde ich Pfleger auf der Intensivstation. Auch da habe ich noch nicht bemerkt, dass ich irgendwie schlecht sehe. Nur Dämmerlicht mochte ich nicht, während der Nachtschicht habe ich alles hell erleuchtet. Erst auf meiner nächsten Station merkte ich, dass etwas nicht stimmt: Ich war im Betriebsrat und, wenn ich Sitzungen leitete, sah ich nicht, wer sich zu Wort meldete. Ich outete mich aber immer noch nicht, sondern wandte einen Trick an. Ein Kollege führte die Rednerliste.

1984 haben meine Frau und ich geheiratet. 1985 bekam ich die glasklare Diagnose: Retinitis pigmentosa. Wie meine Mutter. Ich galt als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60. Damit konnte ich mich arrangieren und hatte etliche Jahre Ruhe. Wieder verschob ich Vieles, was jetzt sinnvoll gewesen wäre: ich machte kein Orientierungs- und Mobilitätstraining und bekannte mich nicht zu der Krankheit. Die Personalstelle habe ich über meine Schwerbehinderung informiert, nicht jedoch meine Sehbehinderung. Ich wollte nicht abgestempelt sein. Heute würde ich allerdings Vertrauenspersonen einweihen, um Missverständnisse zu vermeiden. Ich galt zeitweise als arrogant, weil ich Kollegen auf dem Flur nicht grüßte. Dabei sah ich sie einfach nicht.

Man kann ganz gut mit der RP zurechtkommen. Man kann aber auch oft genug einen Wutanfall kriegen, weil man, statt durch die Tür zu gehen, den Rahmen mitgenommen hat!

PRO RETINA Mitglied

Als ich 50 wurde, wurde es ziemlich heftig. Das Gesichtsfeld wurde kleiner. Ich bin gestürzt, habe einen Knöchel gebrochen. Zwei Jahre später wurde mein Grad der Behinderung auf 100 gesetzt. Das bedeutet: hilflos. Einerseits war ich wütend, andererseits sagte ich mir: Da musst Du durch!

Mir war klar, dass ich als Krankenpfleger nicht weiter arbeiten konnte und lernte einen weiteren Beruf, Verwaltungsfachwirt für Kommunal und Landesverwaltung. Mein Arbeitsplatz wurde mit einem besonderen Computer ausgestattet – ein einfaches Gerät verglichen mit heutigen Hilfsmitteln, die die Arbeit für Sehbehinderte erleichtern.

Mit 54 ging ich dann in Rente – und das war wieder ein Schock. In dieser Zeit habe ich auch psychisch gelitten. Die Anstrengung der vergangenen Jahre – auch des Verdrängens - machte sich bemerkbar. Hilfe fand ich in einer Therapie.

Heute habe ich ein Gesichtsfeld von unter 5 Grad, zum Lesen benötige ich eine Lupenbrille und bin ‚gesetzlich blind‘. Ich sehe, was zum Essen auf dem Teller liegt. Ich höre viel Radio. Das I-pad und der Computer sind meine wichtigsten Hilfsmittel. Viel habe ich auch meiner Frau zu verdanken. Sie muss schon mal etwas aufheben, das mir heruntergefallen ist. Und sie fährt unser Auto

Ich engagiere mich bei PRO RETINA und leite seit 2011 den Arbeitskreis der Sozialberater mit Josef Schwietering.