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Der Krisenchat – Hilfe aus dem Netz
Von Redakteur Matthias Nagel
Die Situation von Kindern und Jugendlichen ist in den vergangenen beiden Jahren nicht leicht gewesen. Viele haben ganz besonders unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie gelitten. Und der entscheidende Faktor ist wohl, dass es innerhalb dieser Gruppe am schwierigsten zu beurteilen ist, wie massiv die Langzeitfolgen sein werden. Die Dimensionen werden erst in zehn bis fünfzehn Jahren erkennbar sein, wenn die Kinder und Jugendlichen erwachsen sind.
Wie maßgeblich die Einschränkungen das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beeinflusst haben, zeigt sich in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen. In diesem Alter sind soziale Kontakte besonders wichtig. Man findet die ersten Freunde und wird auf das soziale Leben vorbereitet. Doch während der Pandemie hat man seine Freunde in der Schule nicht mehr getroffen und auch in der Freizeit war dies nur sehr eingeschränkt möglich. Gerade in dieser Lebensphase sind ebenso Sport und Bewegung wichtig, doch Sportvereine mussten ihre Angebote einschränken – teilweise durften die Anlagen gar nicht mehr betreten werden.
Besonders gelitten haben Kinder und Jugendliche, die bereits vor der Pandemie mit schwierigen Familienverhältnissen zu kämpfen hatten. Für Lehrkräfte war es aus der Ferne kaum noch möglich, diese Gruppe zu erreichen. Enge Wohnverhältnisse sorgten dafür, dass der Online-Unterricht der Kinder und die Arbeit der Eltern im Homeoffice zu Konflikten führten. So schnellten die Fälle familiärer Streitigkeiten und häuslicher Gewalt in die Höhe. Nicht zu vergessen jene, die am Übergang standen zum Berufsleben und zum Beispiel in dieser Zeit Abitur machen mussten.
Chatten, um auf sich aufmerksam zu machen
Um einen Raum zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche auf ihre individuellen Probleme aufmerksam machen können, wurde im Mai 2020 der kostenlose Dienst Krisenchat ins Leben gerufen. Da es vielen kaum mehr möglich war, in einem persönlichen Gespräch mit einer vertrauten Person über Ängste und Nöte zu sprechen, wurde eine Möglichkeit geschaffen, dies online zu tun.
Ziel ist es vor allem, Kindern und Jugendlichen ein niedrigschwelliges Angebot zu machen, damit sie sich im Rahmen eines Chats mit den Beratenden austauschen können. Dabei werden sie dort abgeholt, wo sie ohnehin einen großen Teil ihres Alltags verbringen.
Die Plattform Krisenchat ist nach eigenen Angaben sehr gut angelaufen und gerade in der Pandemie rege genutzt worden. Mehr als 430 Beraterinnen und Berater haben bislang über 50.000 Beratungen online durchgeführt. Mehr als zwei Millionen Nachrichten wurden insgesamt ausgetauscht. Diese hohe Zahl kommt auch dadurch zustande, dass Krisenchat Tag und Nacht erreichbar ist. Wichtig ist außerdem eine kurze Reaktionszeit.
Die Anfragen werden hauptsächlich von ehrenamtlichen Mitarbeitenden bearbeitet. Das Team von Krisenchat verspricht, dass eine strenge Prüfung dieser Personen vorgenommen wird, denn für den Erfolg ist es entscheidend, dass die Beratenden das nötige Einfühlungsvermögen mitbringen und sensibel auf die Zielgruppe eingehen können. Die Beratung wird so verstanden, dass Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich die Kinder und Jugendlichen selbst helfen können. Für besonders brenzliche Anfragen arbeitet Krisenchat auch mit der Polizei sowie weiteren Expertinnen und Experten zusammen.
Kinder und Jugendliche mit Seheinschränkungen
Kinder und Jugendliche, die von einer Sehbehinderung oder Blindheit betroffen sind, stecken manches Mal in einer besonderen Situation: Oft besteht eine enge Bindung zum Elternhaus, denn die Eltern übernehmen auch viele Unterstützungsleistungen. Doch was ist, wenn es dann in diesen Elternhäusern Probleme gibt?
Schulformen jenseits der Regelschule haben häufig ein großes Einzugsgebiet. Es ist also nicht ganz einfach, Freundinnen oder Freunde außerhalb des gemeinsamen Unterrichts zu treffen. Daneben muss bei inklusiv beschulten Kindern und Jugendlichen darauf geachtet werden, dass bei der digitalen Lehre die Barrierefreiheit gewährleistet ist. Wenn dann auf einmal Tools genutzt werden müssen, die für Kinder und Jugendliche mit Seheinschränkungen nicht zu bedienen sind, entstehen weitere Schwierigkeiten.
In Bezug auf Krisenchat lässt sich nach einer kurzen Prüfung attestieren, dass dieser auch mit Vorlesesystemen gut nutzbar ist. Eine Nachfrage blieb leider unbeantwortet: Wir wollten wissen, ob die Mitarbeitenden bei Krisenchat auch darauf vorbereitet worden sind, gezielt auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Einschränkungen einzugehen.
Der Krisenchat ist erreichbar auf www.krisenchat.de.
Weitere Anlaufstellen
Es gibt Alternativen zu Krisenchat. Eine der bekanntesten dürfte die „Nummer gegen Kummer“ sein, die bereits seit 1980 existiert. Bei diesem Angebot ist ebenfalls eine Online-Beratung per E-Mail oder Live-Chat möglich.
Kontakt: Telefon 116 111, www.nummergegenkummer.de
Erschienen in der Retina aktuell, Nr. 166