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Erfahrung: Es ist sehr viel mehr möglich als man zunächst denkt

Leas Vater berichtet

Eine Frau in Neoprenanzug steht mit einem Surfbrett in der Hand am Strand und schaut auf das wellige Meer. Sie ist von hinten zu sehen.
Lea mit Surfbrett

Bei unserer Tochter Lea (damals 16 Jahre) wurde 2017 eine Juvenile Makula-Dystrophie diagnostiziert. Daniela, die Leiterin des Arbeitskreises „Eltern betroffener Kinder“ hat mich gebeten, einen Erfahrungsbericht über die letzten Jahre zu schreiben. Dieses mache ich sehr gerne, denn ich hoffe mit diesem Erfahrungsbericht betroffenen Familien etwas Mut machen zu können. Was wir gelernt haben ist, dass sehr viel mehr möglich ist, als man zunächst denkt. Ich möchte darauf hinweisen, dass es hier um die Erfahrung geht, die wir als Familie gemacht haben. Andere Familien haben andere Erfahrungen gemacht und gehen mit dem Thema ggf. ganz anders um.

Dass ich diesen Erfahrungsbericht schreibe, habe ich natürlich mit Lea abgestimmt. Sie wird auch letztendlich darüber entscheiden ob und mit welchem Inhalt dieser Erfahrungsbericht veröffentlich wird. Da Ihr diesen Bericht jetzt hier lesen könnt, hat Lea wohl zugestimmt 😊. Warum das so wichtig ist, werdet Ihr im weiteren Verlauf erfahren.

Die Augen von Lea haben sich in ihrer Kindheit immer mehr verschlechtert. Wir und auch die Augenärzte konnten uns nicht erklären, warum eine Brille keine Verbesserung mehr bringt. Es gab Aussagen von Augenärzten wie „Das ist halt mal so, manche Menschen sehen halt mal schlechter“. Nach einer jahrelangen Odyssee bei verschiedenen Augenärzten, die mit der Diagnose überfordert waren, haben wir uns dann entschieden selbständig einen Termin in der Augenklink in Stuttgart zu machen. Dort wurden wir dann zum ersten Mal mit der Diagnose Juvenile Makula-Dystrophie konfrontiert. Die Klink in Stuttgart hat uns dann weiter in die Augenklinik nach Tübingen überwiesen. Dort waren wir und sind bis heute sehr gut aufgehoben.

Wir Ihr euch vorstellen könnt, ist damals für uns erst einmal eine Welt zusammengebrochen. Vor allem für Lea, aber natürlich auch für uns als Eltern. Tausend Fragen schossen uns durch den Kopf: Warum trifft es unserer Familie? Warum Lea? Was ist das für eine Krankheit? Gibt es Therapiemöglichkeiten? Wie sieht der Verlauf aus? Was wird die Zukunft bringen? Wie kommt Lea ohne Führerschein zurecht? Wird Lea einen Beruf ausüben können?… . Doch leider hatten wir auf diese Fragen zu dieser Zeit nur wenige oder keine Antworten. Also haben wir, wie es wohl die meisten gemacht hätten, im Internet recherchiert. Hier war es erstmal wichtig, mit gesundem Menschenverstand an die Sache heranzugehen, da es auch viele falsche Informationen gibt. Schließlich sind wir auf PRO RETINA gestoßen und haben herausgefunden, dass es sogar in Stuttgart eine „Selbsthilfegruppe“ (Regionalgruppe) gibt. Es hat dann doch noch mal eine Zeit gedauert bis wir, und vor allen Dingen auch Lea, bereit waren, den Schritt zu gehen und uns mit dem Regionalgruppenleiter zu treffen. Wichtig war hier Lea nicht dazu zu drängen. Hier haben wir dann erstmals Hilfe erfahren. Das ging von „Wir sind nicht allein“ über die Beratung zur weiteren Unterstützung (Hilfsmittel, Solzialberatung) bis hin zu Kontakten zu guten Ärzten. Weiter wurde dann auch der Kontakt zu Daniela, der Leiterin des Arbeitskreises „Eltern betroffener Kinder“, hergestellt. Hier konnten wir uns mit betroffenen Eltern austauschen und bekamen auch super Unterstützung von Daniela. Dies war vor allen Dingen eine große Unterstützung für uns Eltern. Dafür noch mal ein großes Dankeschön an Daniela, die immer für uns da war und immer noch ist.

Als Eltern wollten wir natürlich „das Beste“ für Lea. Also habe wir ein Kamerasystem besorgt, Kontakt zur Sozialberatung aufgenommen, welche uns mit der Schule unterstützen sollte, uns Gedanken über mögliche Berufe gemacht, die „sehbehinderten-tauglich“ sind. Und so weiter.

Aber was möchte den Lea eigentlich? Lea ist doch die Betroffene. Was wir hier lernen mussten, ist, dass es hier um Lea geht und wir als Eltern beraten können, aber letztendlich Lea ihre Entscheidungen selber trifft. Denn es geht um ihr zukünftiges Leben. Auch Lea musste erst einmal akzeptieren, dass es Sinn machen kann auch mal Hilfe anzunehmen. Auch dass es bei einem Nachteilsausgleich darum geht einen Nachteil gegenüber anderen auszugleichen und nicht um einen Vorteil gegenüber anderen zu bekommen. Lea hat für sich ihren eigenen Weg gefunden, der nicht immer einfach war. Nicht immer einfach für Lea, aber auch nicht immer einfach für uns Eltern, da wir lernen mussten, die Entscheidung von Lea zu akzeptieren.

Wie ging es denn nun in der Schule weiter? Lea musste für sich ihren eigenen Weg finden. Sie hat sich dann in die erste Reihe gesetzt und wenn nötig ihr Handy zu Hilfe genommen. Das war bedeutend unauffälliger als ein Kamerasystem. Auch ihre Freunde haben Sie unterstützt. Mit der Sozialberatung hat Sie vereinbart, dass keine Gespräche mit der Schule stattfinden, ohne ihr Wissen und dass die Inhalte der Gespräche mit ihr abzustimmen sind. Zum Schluss hat Sie die Gespräche mit der Schulleitung und den Lehrern dann selbst geführt.

Nun war die Schule zu Ende und es stellte sich die Frage: Wie geht es weiter? Für Lea war gleich klar. Sie wollte studieren und nicht eine „sehbehindertengerechte“ Ausbildung machen. Die Erfahrung, die wir gemacht haben, ist, dass bedeutend mehr möglich ist, wie es zunächst scheint. Wichtig ist, sich intensiv damit auseinander zu setzen, was man selber möchte: Praktika machen, um es einfach mal auszuprobieren. Gibt es vielleicht schon sehbehinderte Menschen, die das Wunschstudium / Ausbildung belegen und mit denen man sich austauschen kann? Und auch das Netzwerk und die Erfahrungen von PRO RETINA  nutzen. Es ist natürlich auch klar, dass nicht alles geht. Pilot zu werden, wäre etwas schwierig geworden. Aber ich kann es nur nochmal wiederholen: Es geht mehr als man denkt.

Lea studiert nun in Hamburg (gute Infrastruktur bezügl. öffentlicher Verkehrsmittel oder war es wohl doch eher die Nähe zum Meer 😊) Gesundheitswissenschaften und kann ihrem Hobby Surfen nachgehen. Jetzt liegen mehr als 600 km zwischen Lea und uns. Aber wir wissen, dass Lea in Hamburg gut zurechtkommt. Sie regelt alles selber. Zum beispiel auch alles zum Thema Nachteilsausgleich mit der Hochschule und den Professoren. Wichtig ist: Sie entscheidet für sich selbst, welchen und wieviel Nachteilsausgleich sie selber nutzen möchte.

Auch wir wissen nicht, was genau die Zukunft bringen wird, wie die Krankheit weiter verlaufen wird. Wird es irgendwann doch Heilungsmöglichkeiten (z.B. durch Gentechnologie) geben? Die Zukunft ist ungewiss. Aber Lea weiß: Wenn Sie Hilfe braucht, ist ihre Familie immer für sie da. Und wir können uns darauf verlassen, dass Lea auf uns zukommen wird, wenn sie wirklich Hilfe benötigt.