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Es gibt Licht am Horizont für Patienten mit degenerativen Netzhauterkrankungen

Das Tor zum Sehen: Es gibt Licht am Horizont für Patienten mit degenerativen Netzhauterkrankungen 17. Welt-Kongress der Selbsthilfeorganisation RETINA INTERNATIONAL in Hamburg präsentiert Fortschritte gegen den Verlust der Sehkraft

(Hamburg, 13. Juli 2012) "Es gibt Licht am Horizont", sagt Christina Fasser aus Zürich, Präsidentin von RETINA INTERNATIONAL, einem Zusammenschluss von 33 nationalen Selbsthilfeorganisationen für Menschen mit degenerativen Netzhaut-Erkrankungen. Neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, die mittlerweile in klinischen Studien erprobt werden, machen den 17. Welt-Kongress der Patientenorganisationen am 14. und 15. Juli 2012 in Hamburg zu einem Kongress der Hoffnung.

Erbliche und erworbene Erkrankungen der Netzhaut, die zur völligen Erblindung führen können, galten bis vor wenigen Jahren als gar nicht bzw. schwer behandelbar: Diagnostizierte der Augenarzt beispielsweise im Kindes- oder Jugendalter eine Retinitis pigmentosa, eine Erbkrankheit, mussten sich die Patienten darauf einstellen, dass das schwindende Sehvermögen ihre berufliche und private Zukunft gravierend verändern würde. In Deutschland wird eines von 4000 Kindern mit einer solchen erblichen Netzhaut-Erkrankung geboren. Lautete die Diagnose "Altersabhängige Makula-Degeneration" (AMD), die Ärzte jährlich bei rund 50.000 älteren Menschen stellen, drohte den Patienten ebenfalls der langsame Verlust der Sehkraft. Die AMD ist in westlichen Industrienationen die häufigste Ursache von Altersblindheit.

Inzwischen gibt es jedoch Grund für Optimismus: "In den letzten Jahren hat sich ein Tor zu diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten geöffnet, die zumindest einigen Gruppen von Patienten mit degenerativen Netzhauterkrankungen gute Gründe zur Hoffnung geben", sagt Dr. Claus Gehrig, 1. Vorsitzender von PRO RETINA Deutschland e.V., der gastgebenden Selbsthilfeorganisation des Weltkongresses, zu dem mehr als 600 Teilnehmer – Patienten und Wissenschaftler – aus der ganzen Welt erwartet werden.

Mittlerweile befindet sich ein ganzes Bündel von Therapien gegen erbliche Netzhauterkrankungen in verschiedenen Phasen der klinischen Prüfungen: Das Spektrum reicht von Gentherapien über medikamentöse Therapien mit verschiedenen Wachstumsfaktoren, Stammzell- und Zelltransplantate bis hin zur Elektrostimulation. Der erste Netzhaut-Chip, ein Retina-Implantat, hat bereits seine Zulassung erhalten. Ebenso wächst die Erfahrung mit Medikamenten, welche die Altersblindheit aufgrund einer feuchten Makula-Degeneration verhindern, neue Arzneien drängen in den Markt. Intensiv erforschen Wissenschaftler auch Therapiemöglichkeiten zur Behandlung der sehr viel häufigeren trockenen Form der Makula-Degeneration.

Entscheidende Fortschritte

"Es ist ein entscheidender Fortschritt, dass die Forschung nicht mehr im Labor stattfindet, sondern dass die Wirksamkeit der neuen Strategien in klinischen Studien mit Patienten getestet wird", betont Fasser. Beeindruckt sind die Kongressorganisatoren vor allem von der Geschwindigkeit, mit der sich dieser Übergang vom Labor in die Klinik zur Zeit vollzieht. "Vor sechs Jahren hatten wir noch keinen einzigen klinischen Versuch", erinnert sich Fasser. "Bei unserer diesjährigen Tagung mussten wir uns schon überlegen, ob wir alle präsentieren können." "Die Dynamik der Entwicklung ist nahezu unglaublich", freut sich auch Franz Badura, der Leiter des Organisationskomitees. Vor 22 Jahren war Badura dabei, als Wissenschaftler auf dem Kongress der Patienten-Organisationen eine erste Genmutation präsentierten, welche die Erkrankung Retinitis Pigmentosa verursacht. Doch dies war nur der erste Schritt. Auf die Euphorie folgte die Ernüchterung als in den 1990er Jahren klar wurde, dass nicht nur dieses eine Gen, sondern eine Vielzahl von Genen die Erkrankung auslösen können, wenn sie mutieren. Für die betroffenen Patienten sind diese 22 Jahre bis zu den heutigen Aussichten natürlich eine lange Zeit", sagt Badura, der selbst 18 Jahre alt war, als bei ihm die Diagnose Retinitis pigmentosa gestellt wurde. "Doch der Wissenszuwachs in diesem Zeitraum war enorm und lässt sich jetzt ummünzen in konkrete diagnostische und therapeutische Möglichkeiten."

Technische Entwicklungen der Genanalyse befeuern die diagnostischen Möglichkeiten.

"Wir können mit den neuen Methoden der Gensequenzierung 50 bis 80 Gene gleicheitig untersuchen", sagt der wissenschaftliche Tagungspräsident Prof. Dr. Andreas Gal, Leiter des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Dies mache die Diagnostik einfacher, schneller und zuverlässiger. Sie ist auch wichtig, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, bei der sich eine Gentherapie bereits in der klinischen Prüfung befindet. "Wir müssen wissen, welches Gen ersetzt werden muss", erklärt Gal. Auf dem Kongress werden Gentherapien gegen mehrere erbliche Netzhauterkrankungen präsentiert. "Es gibt bereits mehrjährige Erfahrungen mit der Gentherapie bei der sogenannten Leberschen kongenitalen Amaurose, bei der ein Gen, kurz RPE65 in die Zellen der Netzhaut der betroffenen Patienten eingeschleust wird. "Bei dieser Erkrankung waren die Bedingungen besonders günstig", sagt Gal. Allerdings warnt der Experte vor übertriebenen Erwartungen: Wir werden mit jedem Gen, das für eine Therapie in Frage kommt, Erfahrungen sammeln müssen und es wird auch Enttäuschungen geben." Denn die erblichen degenerativen Netzhauterkrankungen sind sehr heterogen. Zwar ist stets nur ein einziges mutiertes Gen die Ursache, doch es gibt viele verschiedene Gene, deren Veränderung dieselbe Erkrankung auslöst. So kann eine Retinitis pigmentosa durch Veränderungen in mindestens 55 Genen verursacht werden - soweit die Forscher bislang wissen. Und nicht jedes Gen kommt für eine Gentherapie in Frage.

Eine riesige Veränderung für die Menschen

Darum stehen auch medikamentöse Strategien und pharmazeutische Gentherapien im Fokus, bei denen kein defektes Gen ersetzt wird, sondern Gene eingeschleußt werden, die etwa Wachstumsfaktoren produzieren. "Solche Ansätze haben den Vorteil, dass man mit ihnen Erkrankungen unabhängig von der jeweiligen Genmutation behandeln kann", sagt Fasser. Das heilt die Krankheit nicht, kann aber das Fortschreiten möglicherweise verlangsamen. "Selbst wenn eine Erkrankung nur um zehn Prozent langsamer fortschreitet, bedeutet dies, dass die Patienten sieben bis 12 Jahre länger lesen können", rechnet Christina Fasser vor. "Das ist eine riesige Veränderung für die Menschen."

Patienten müssen für ihr Recht auf Behandlung oft kämpfen

Den Patienten und Wissenschaftlern ist bewusst, dass sie sich dafür stark machen müssen, dass die neuen Verfahren auch bezahlt werden. "Auch Menschen mit seltenen Erkrankungen haben das Recht auf Behandlung, die ihre Lebenssituation verbessert oder deren Verschlechterung verhindert", betont Fasser. So belegen erste Untersuchungen, etwa in Dänemark oder Israel, dass die Zahl der Neu-Erblindungen infolge einer Altersabhängigen Makula-Degeneration massiv sank, nachdem wirksame Medikamente zur Behandlung der feuchten Form dieser Erkrankung verfügbar waren. "Wir haben jedoch in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass Patienten um ihre Therapie kämpfen mussten ", weiß Dr. Claus Gehrig.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrung fürchten Gehrig und seine Mitstreiter, dass es auch bei den neuen Methoden ähnlich laufen könnte, vor allem bei den seltenen Erkrankungen. "Es gibt Netzhauterkrankungen, bei denen die Fachgesellschaften beispielsweise eine Therapie der auftretenden Makula-Ödeme mit sogenannten VEGF-Hemmern als First-Line-Therapie empfehlen. Doch die Krankenkassen lehnen die Kostenübernahme ab, weil die Substanzen für diese speziellen Indikationen (noch) nicht zugelassen sind und daher "off-label", also außerhalb der Zulassung eingesetzt werden", kritisiert Gehrig. Ihre Weigerung, die Kosten für einen solchen "off-label-Einsatz" zu übernehmen, hindert die Krankenkassen im umgekehrten Fall jedoch keineswegs daran, den "off-label-Einsatz" zu forcieren, wenn sie dadurch Geld für zugelassene Therapien sparen können. "Es geht in solchen Fragen also oft nicht um medizinisch begründete Entscheidungen, sondern um finanzielle Erwägungen", sagt Gehrig. "Wir werden uns weiterhin intensiv für die Rechte der Patienten einsetzen müssen."