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Hirnforschung: Blinde Menschen hören präziser - Studie zeigt Hintergründe
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Physiologische Studie erklärt, weshalb blinde Menschen präziser hören als sehende Menschen
Wie kommt es, dass blinde Menschen oft ein ausgeprägteres Hörvermögen haben als sehende Menschen? Erstmals konnte jetzt eine Studie nachweisen, an welcher Stelle im Gehirn diese Fähigkeit entwickelt wird.Hören ist etwas ganz Individuelles. Jeder hört anders und empfindet das Gehörte auch unterschiedlich. Dass Blinde, vor allem Menschen, die früh ihr Sehvermögen verloren haben, häufig ein besseres Hörvermögen haben als Sehende, haben schon etliche Studien ergeben. Doch jetzt hat ein Experiment offenbar erstmals den physiologischen Hintergrund dieses Phänomens offen gelegt.
Was sorgt bei blinden Menschen für das Optimieren des Hörens?
Die allgemeine Annahme, dass Blinde besser hören als Sehende, ist keine bloße Spekulation. Die Aussage wird durch eine Anzahl von Forschungsarbeiten gestützt. Doch die Hirnmechanismen, die für eine Optimierung des Hörens bei Blinden sorgen, wurden bisher noch nicht entschlüsselt. „Es gibt da diese Vermutung, dass Blinde akustische Herausforderungen gut meistern, weil sie sich ohne visuelle Informationen in der Welt zurechtfinden müssen“, sagt die Neurowissenschaftlerin Ione Fine von der Universität Washington. „Wir wollten herausfinden, wie das im Hirn funktioniert“, schilderte sie „UW News“, der Nachrichtenseite der Uni Washington.
Visualisierung von Hirnreaktionen
Für ihre Studien, die im „Journal of Neuroscience“ und den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurden, benutzten Fine und ihr Team die sogenannte funktionale Magnetresonanztomographie (fMRT), um Aktivitäten im auditiven Cortex, dem Hörzentrum des Gehirns, bei Blinden und einer Kontrollgruppe von Sehenden zu untersuchen. Mit der Magnetresonanztomographie lassen sich physiologische Funktionen im Innern des Körpers visualisieren.
Von den blinden Teilnehmern eines Jahrgangs hatten vier frühzeitig ihr Sehvermögen verloren, fünf von ihnen litten unter der sogenannten Anophthalmie, dem angeborenen Fehlen der Augen. Den Teilnehmern der Studie wurden Reintöne unterschiedlicher Frequenzen vorgespielt, während ein fMRT ihre Hirnfrequenzen aufzeichnete. Die Kontrollgruppe der Sehenden durchlief das gleiche Prozedere.
Das Hörzentrum passt sich der Blindheit an
Als die Wissenschaftler die Resultate analysierten, fanden sie heraus, dass die blinden Teilnehmer die Töne in einer schmaleren, präziseren Bandweite verarbeiten als die sehenden Probanden. Das legte den Schluss nahe, dass ihr Hörzentrum über eine feinere Frequenzabstimmung verfügt als das der Sehenden.
„Das ist die erste Studie, die beweist, dass sich das Hörzentrum der Blindheit anpasst. Das ist eine wichtige Erkenntnis, da es sich hier um eine Hirnregion handelt, die weitgehend identische akustische Informationen von sehenden und blinden Menschen bezieht,” sagt Fine. „Bei Blinden müssen den Tönen allerdings mehr Informationen entnommen werden – und diese Hirnregion entwickelt anscheinend dadurch erweiterte Fähigkeiten. Das ist ein besonders treffendes Beispiel dafür, wie die Entwicklung von Fähigkeiten des frühkindlichen Gehirns von der Umgebung beeinflusst wird, in der die Kinder aufwachsen.“
Sehende brauchen Gegenstände nicht akustisch zu erkennen
Der Psychologie-Doktorand Kelly Chang, Hauptautor der Neuroscience-Studie, ergänzt: „Unsere Studie zeigt, dass die Gehirne blinder Menschen besser in der Lage sind, Frequenzen darzustellen. Für Sehende ist eine exakte Wiedergabe von Tönen nicht so entscheidend, da sie ja über den Sehsinn verfügen, um Gegenstände zu erkennen, während Blinde nur über die akustische Funktion verfügen. Das gibt uns eine Vorstellung davon, welche Veränderungen im Gehirn eine Erklärung dafür bieten, warum Blinde besser in der Lage sind, Geräusche in ihrer Umgebung zu filtern und zu identifizieren.
Die Fähigkeit von Synapsen, Teilen des Gehirns oder Nervenzellen, sich entsprechend ihrer Nutzung zu verändern, wird Neuroplastizität genannt. Wie allerdings das Hörzentrum diese Form der Neuroplastizität entwickelt, ist noch unbekannt. Allerdings haben die Wissenschaftler ihr Forschungs-Areal durch ihre Erkenntnisse weiter eingrenzen können.
Wissen über die Entwicklung des Hirns erweitert
„Blinde Menschen müssen mehr Informationen aus Geräuschen beziehen – und diese Hirnregion scheint als Resultat erweiterte Fähigkeiten zu entwickeln“, fasst Fine zusammen. Die Forschungsergebnisse würden das bisherige Wissen um die Entwicklung des Hirns erweitern, da das Team nicht nur untersucht habe, welche Hirnregionen sich durch Blindheit verändern, sondern auch ganz präzise die Art der Veränderungen, in diesem Fall die erhöhte Frequenz-Empfindsamkeit.
Ein blinder Studienteilnehmer drückt das so aus: „Ihr seht mit den Augen, ich sehe mit den Ohren.“
Quellen:Dresdner Neueste Nachrichten vom 23.04.2019; University of Washington; sciencealert