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Human Gene Editing

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Human Gene Editing

Eine relative neue Technologie, mit der sich das Erbgut von Lebewesen relativ einfach, punktgenau und hocheffizient verändern lässt (Crispr/Cas9-System), ist zur Zeit das Thema in vielen Medien, oftmals unter der Bezeichnung "Human Gene Editing". Auch eine Netzhauterkrankung, eine bestimmte Form der Leberschen Kongenitalen Amaurose (CEP290), soll in einer klinischen Studie mit diesem System getestet werden (PRO RETINA Newsletter vom 23.11.2015).

In der Neuen Zürcher Zeitung vom 4.12.2015 beschäftigt sich der Autor Ronald Gerste mit den ethischen Fragen dieser sich rasant entwickelnden Technologie. Wir möchten Ihnen diesen nachdenkenswerten Beitrag nicht vorenthalten und danken der NZZ und dem Autor für die freundliche Genehmigung zur Weiterverbreitung an unsere Abonnenten.

Genom-Editierung ein etwas anderes "Gipfeltreffen"

Ein neues Verfahren erlaubt gezielte, schnelle und effiziente Erbgutveränderungen. An einem Treffen in Washington haben Forscher nun darüber diskutiert, wie mit den Risiken umzugehen ist.

von Ronald D. Gerste

Wie eine Medaille hat auch das «Genome Editing», das gezielte Löschen oder Überschreiben bestimmter Sequenzen des menschlichen Erbguts, zwei Seiten. Viele Wissenschafter sehen in ihm eine Chance, schwere oder bisher unheilbare Krankheiten, deren Ursachen im Erbgut liegen, nachhaltig zu therapieren. Kritiker indes sehen einen gefährlichen Weg in eine ethische Grauzone, wenn nicht gar hin zum «Designer-Baby». Denn könnte man nicht in letzter Konsequenz menschliche Embryonen so verändern, dass sie der Wunschvorstellung von Eltern – oder gar eines totalitären Systems – entsprechen? Zu den ethischen Problemen des "Genome Editing" hat dieser Tage in Washington eine Konferenz stattgefunden.

Relativ billig und einfach

Die Methode im Mittelpunkt ist das «Crispr-Cas9-System», eine Kombination aus drei Elementen: einer sogenannten Endonuklease, die die Erbsubstanz DNA zerschneiden kann, und zwei RNA-Sequenzen. Eine davon, die Leit-RNA, können Forscher so gestalten, dass sie perfekt zu einer Sequenz im Erbgut passt. Dadurch kann diese Dreierkombination ausgewählte Sequenzen in der Erbsubstanz DNA gezielt ansteuern und zerschneiden. Zelleigene Reparaturmechanismen verknüpfen den Schnitt wieder, allerdings so ungenau, dass das betroffene Gen unbrauchbar wird.

Geben die Wissenschafter dem System eine Vorlage zur Reparatur mit, überschreibt diese das Original, so dass sich einzelne Details eines Gens verändern lassen. Die Methode ist nicht das erste und nicht das einzige Verfahren, mit dem das Editieren des Erbguts möglich ist, doch sie ist effizient, kostengünstig und verhältnismässig einfach zu handhaben – und hat sich entsprechend schnell durchgesetzt.

Tatsächlich gab es bereits mindestens einen Versuch, mit der Methode auch menschliche Embryonen zu verändern. Als besonders problematisch gelten Eingriffe ins Erbgut, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden, sogenannte Eingriffe in die Keimbahn. Um diese und andere Problemfelder des «Genome Editing» zu evaluieren, haben drei staatliche Wissenschaftsakademien – die amerikanische, die chinesische und die britische Royal Society – in dieser Woche in Washington zu einem Gipfeltreffen eingeladen.

Die Konferenz fand wohl nur zufällig zeitgleich zum Pariser Klimagipfel statt – doch auch in das Klima habe der Mensch eingegriffen, ohne sich rechtzeitig um die Konsequenzen zu kümmern, wie mehrere Forscher an dem Treffen in Washington anmerkten. Dass Forscher des Massachusetts Institute of Technology in einer Online-Veröffentlichung der Fachzeitschrift «Science» vom Mittwoch berichteten, das Crispr-Cas9-System präzisiert und damit das Risiko unbeabsichtigter Eingriffe ins Genom reduziert zu haben, dürfte dagegen weniger zufällig gewesen sein.

In einem waren sich die Ethiker, Genetiker und anderen Fachexperten einig, die in Washington drei Tage lang diskutierten: eine Regulierung der Technologie kann nicht von einzelnen Staaten ausgehen, sondern ist nur über eine globale Zusammenarbeit realistisch ist. Der Medizintourismus, der heute in Ländern mit wenig restriktiven und billigen Therapien ein Wirtschaftsfaktor ist, dürfte bei einer Perfektionierung der Erbgut-Editierung einen «Gentourismus» nach sich ziehen, wie Indira Nath vom All India Institute of Medical Sciences andeutete.

Journale als Regulatoren

Solche Eigeninteressen können das Streben nach einem internationalen Konsens hemmen oder zumindest verzögern – die «Human Cloning»-Deklaration der Vereinten Nationen mag hier als Beispiel gelten, die ein Wissenschafter in Washington als «Wischiwaschi» bezeichnete, da nach langem Gerangel um Formulierungen 2003 eine butterweiche, wenig aussagefähige Resolution erfolgte. Von «Responsibilisierung» wurde gesprochen, einer Art Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins – ein Konzept aus den westlichen Industrienationen, das wohl davon ausgeht, dass Wertvorstellungen und ethische Richtlinien weltweit auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können.

Doch die Diskussionen blieben über weite Strecken beim Theoretischen. Der Chefredaktor der Fachzeitschrift «Nature», Philip Campbell, deutete an, dass an ethischen Vorgaben ausgerichtete Richtlinien bei den hoch angesehenen Wissenschaftszeitschriften als eine Art Regulator dienen könnten. Sie könnten beeinflussen, was an Studien veröffentlicht und somit Teil der Diskussion in der wissenschaftlichen Gemeinschaft werde – und was keine Gnade vor den Augen der Herausgeber finde. Es seien, so Campbell, schon Manuskripte eingereicht worden, die auch wegen ethischer Fragwürdigkeit abgelehnt worden seien. Diese Art von Selbstzensur wird indes vermutlich nur so lange andauern, wie Journale mit Sitz in den USA oder Grossbritannien in der Welt der Wissenschaft unangefochten tonangebend sind.

Das «Genome Editing» ist ein Feld der Wissenschaft, das nicht von weltanschaulichen Rahmenbedingungen zu trennen ist. Ablehnung oder zumindest das Bemühen, ihm enge Grenzen zu setzen, schlagen ihm sowohl aus religiös motivierten und konservativen Kreisen wie auch aus dem linken, der «political correctness» verpflichteten Spektrum entgegen. So forderte die deutsche Theologin und Ethikerin Hille Haker ein zweijähriges Moratorium in diesem Forschungsbereich, ohne jedoch aufzuzeigen, wie es danach weitergehen solle. Haker lehrt an der Loyola University in Chicago, einer – wie im Namen zu erkennen ist – jesuitischen Hochschule.

Schreckgespenst Eugenik

Marcy Darnovski vom Center for Genetics and Society in Berkeley bedauerte die Dominanz von Wissenschaftern an der Konferenz. Sie bemängelte das Fehlen von Sprechern der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Community und von Behindertengruppen – ein Hinweis auf ein potenzielles Szenario, in dem diese Gruppen zum Opfer würden und das «Genome Editing» wohl in die Nähe zur Eugenik gerückt werden sollte.

Bei den allfälligen Forderungen nach Sicherheit bei der Genforschung war es mit John Harris von der University of Manchester ausgerechnet ein Philosoph, der mit einer handfesten Zahl eine wichtige Relation deutlich machte: Jährlich würden rund acht Millionen Kinder mit einem genetischen Defekt als Folge der Zeugung durch einen Sexualakt geboren. Wenn diese natürliche Art der «Genweitergabe» als Richtschnur dienen würde, läge die Messlatte für neue Technologien denkbar niedrig; der Zeugungsakt sei mit Unsicherheiten behaftet, die man keiner Labormethode gestatten würde.

Bei der Debatte über die politische und gesellschaftliche Regulierung des «Genome Editing» kamen Experten aus unterschiedlichen Ländern zu Wort. Merkwürdig mag manchem Beobachter allerdings erschienen sein, dass eine der drei veranstaltenden Wissenschaftsakademien in dieser zentralen Diskussion auf dem Podium gar nicht vertreten war. Es war die Volksrepublik China.

Mögliche Ziele einer Editierung

An der Tagung waren mehrere Gene im Gespräch, von deren «Reparatur» sich Teilnehmer des Gipfels einen direkten therapeutischen Nutzen versprechen. Zu ihnen zählt zum Beispiel jenes für das Rezeptorprotein CCR5, das bei der Infektion mit HIV eine wichtige Rolle spielt. «CEP290» wiederum ist für eine schwere angeborene Sehbehinderung, die sogenannte Lebersche kongenitale Amaurose, essenziell. Weitere angeborene Leiden, denen man über eine Veränderung von Genen vorbeugen möchte, sind die neurodegenerative Hirnschädigung Chorea Huntington, das Tay-Sachs-Syndrom (das mit Erblindung und schwerem Intelligenzdefekt einhergeht und auf eine Mutation auf Chromosom 15 zurückgeführt wird) sowie die Blutkrankheit Sichelzellenanämie. Bei einigen anderen Erkrankungen kann das Überschreiben des Erbgutes die Erkrankung laut den Wissenschaftern wohl nicht verhindern, aber das Risiko ihres Auftretens senken: Hierzu gehören demnach bestimmte Krebsarten, Alzheimer und Herzleiden.

Erklärung zum «Genome Editing»

Zum Abschluss des dreitägigen Treffens zum «Genome Editing» haben die Mitglieder des Organisationskomitees am Donnerstag eine Erklärung verabschiedet. Darin heisst es, dass intensive Grundlagen- und vorklinische Forschung dringend nötig sei und im Rahmen angemessener rechtlicher und ethischer Regeln fortgeführt werden solle. Falls es im Verlaufe der Forschung zu Eingriffen an embryonalen Zellen oder an Keimzellen komme, sollten diese Zellen nicht genutzt werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen.

Die klinische Nutzung von genetisch veränderten Keimzellen halten die Autoren für unverantwortlich, solange die Sicherheitsaspekte nicht geklärt seien und solange es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Angemessenheit der vorgeschlagenen Massnahmen gebe. Eine klinische Nutzung setze zudem eine angemessene regulatorische Aufsicht voraus. Diese Kriterien würden momentan nicht erfüllt. Die Autoren plädieren dafür, die Frage der klinischen Nutzung im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und sich wandelnder gesellschaftlicher Einstellungen regelmässig zu überdenken. Dafür müsse ein regelmässig tagendes internationales Forum geschaffen werden, das Richtlinien und Empfehlungen erarbeitet und der Politik beratend zur Seite stehe.