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Ein Erfahrungsbericht von Heike Ferber

Bild von Heike Ferber mit ihrem Hund
Bild von Heike Ferber mit ihrem Hund

Heike Ferber lebt mit ihrem Mann, ihrem Führhund und Pferden in der Nähe von Soest. Sie ist an Zapfendystrophie erkrankt und leitet in der PRO RETINA den Arbeitskreis Makula.
Irgendwann haben sich Bücher aus meinen Leben geschlichen. Ich war Mitte 40 und las eigentlich wahnsinnig gerne. Aber mir war die Freude daran vergangen. Autofahren war ebenfalls eines meiner Hobbies. Auch da wurde ich zögerlich. Den Grund konnte ich gar nicht ganz genau benennen. Eine neue Brille? Ich probierte eine nach der anderen. Ohne Erfolg. Augenärzte waren ratlos. Ich ging von einem zum anderen. Wieder ohne Erfolg. Dann setzte eine Phase ein, in der ich rapide schlechter sah. Zudem war mein Selbstbewusstsein im Keller. „Die Menschen sehen in mir doch nur die Dicke“ Das war mein Gefühl! Und ich sah mich auch so, traute mir kaum etwas zu. Mein Blick war nach unten gerichtet. Fast immer. Und dann auch noch diese Sehprobleme!

Leider kommt es heute immer noch vor, dass bei dem Erstdiagnosegespräch einer Makula-Dystrophie von Erblindung gesprochen wird. Wenn dieses Wort erst einmal gefallen ist, wird kaum jemand in der Lage sein, sich unmittelbar auf weitere Erklärungen zu konzentrieren.

Heike Ferber

Ein Augenarzt stellte schließlich die Diagnose: Netzhautdystrophie! Nein! Dachte ich. Nicht auch das noch! Ich wusste kaum, wie die Netzhaut funktionierte, geschweige denn, welche Störungen sie hervorbringen kann. Da ich aber so wenig wusste, habe ich mich im Internet informiert, mit PRO RETINA Kontakt aufgenommen und mich zum ersten Seminar angemeldet.

Es klingt jetzt vielleicht kitschig: aber da habe ich etwas erlebt, was ich nie zuvor gespürt hatte. Ich war angekommen! Hier brauchte ich mich nicht zu verstecken! Hier haben alle die gleichen Erfahrungen! Ich brauche mich nicht zusammen zu reißen. Wenn ich dort in meinem Kaffee etwas finde, was eigentlich Milch sein sollte aber so komisch nach Öl schmeckt, dann lachen wir. Ein Satz hat hier keinen Platz: „Hoffentlich mache ich nichts falsch.“ So erkannte ich, dass es ein Leben mit der Sehbehinderung gibt.

Es klingt merkwürdig, aber ich finde, dass meine Sehbehinderung mir die Augen geöffnet hat.

Heike Ferber

Gestärkt konnte ich den nächsten Schritt in Angriff nehmen und mich beim Mobilitätstraining anmelden. Da geschah nun etwas ganz Seltsames: Als die Trainerin mir den Langstock in die Hand gab, schaute ich auf. Ich blickte nicht mehr zu Boden, wie so lange Zeit zuvor, sondern ich schaute geradeaus. Ein Schlüsselmoment. Ich kann ja atmen! Ich kann aufrecht stehen! Mein Selbstbewusstsein bekam in dieser Sekunde einen Schub. Von der Sehbehinderung lässt Du Dich nicht unterkriegen! Du wirst den Durchblick behalten! Es klingt merkwürdig, aber ich finde, dass meine Sehbehinderung mir die Augen geöffnet hat.

Mit diesem Gefühl lebe ich seither und traue mir Dinge zu, an die ich zuvor nicht zu denken gewagt hätte: ich organisiere und halte Seminare für die PRO RETINA. Inzwischen habe ich eine Teilzeit-Arbeit gefunden, die mit den Augen zusammen hängt: für den Kreis Soest teste ich Navigationsapps für Blinde und Sehbehinderte. Ein Pilotprojekt. Bei der PRO RETINA koordiniere ich die Arbeit der Beraterinnen und Berater. Man darf ja nie vergessen, dass sie selbst betroffen sind und deshalb auch Unterstützung brauchen.

Zu all dem habe ich noch Anton, meinen Hund, der mich leitet. Überhaupt hat mein Leben in bessere Bahnen geführt. Dass die manchmal holprig sind, und ein heftiger Anstieg oder eine Kurve mich traurig oder wütend machen, ändert daran nichts.