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Gesundheitspolitische Veranstaltung „Digitalisierung im Gesundheitswesen – eine Chance für die Forschung zu Netzhautdegenerationen“

Gesundheitspolitische Veranstaltung „Digitalisierung im Gesundheitswesen – eine Chance für die Forschung zu Netzhautdegenerationen“

Am 1. Dezember 2021 fand gefördert durch den Partizipationsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum zweiten Mal die „Berliner Begegnung – PRO RETINA im Dialog“ statt. Diesmal beleuchtete PRO RETINA die Digitalisierung im Gesundheitswesen als Chance für die Forschung zusammen mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten inhaltlich, wissenschaftlich und regulatorisch. Im Anschluss daran moderierte Franz Badura, politischer Referent der PRO RETINA, eine Diskussionsrunde mit den Vortragenden und Dr. Christine Mundlos, ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen).

Zum Auftakt zeigte Prof. Till Winkler, Copenhagen Business School / FernUniversität Hagen, in seinem Vortrag „Digitale Gesundheit: Strategien, Infrastrukturen und notwendige Rahmenbedingungen – Erfahrungen aus Skandinavien“ wie die digitale Nutzung von Gesundheitsdaten bereits zum Wohl von Patientinnen und Patienten eingesetzt wird. Im Anschluss widmete sich Prof. Thomas Berlage, RWTH Aachen / Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT Sankt Augustin, der Frage „Wie können Daten aus der Versorgung direkt einen wesentlichen Mehrwert für alle Patientinnen und Patienten erbringen?“. Die Perspektive der Betroffenen skizzierte Dr. Frank Brunsmann, Fachbereich Diagnose und Therapie der PRO RETINA, in seinem Impuls „Erwartungen der Patientenselbsthilfe an die Digitalisierung – Traumtänzerei oder realistische Hoffnung?“. Den letzten Input gab Lena Dimde, Gematik GmbH, mit ihrem Beitrag „Die elektronische Patientenakte – aktueller Stand und Perspektiven für die medizinische Forschung“.

Franz Badura eröffnete die Diskussion mit der provokanten These, dass medizinische Forscher im 21. Jahrhundert nicht länger wie Schatzsucher oder Feldarchäologen arbeiten sollten. Alle Diskutierenden waren sich einig, dass die brachliegenden Routinedaten unseres Gesundheitssystems endlich genutzt werden sollten. Wertvolle Datenschätze sind zu heben, damit die elektronische Patientenakte (ePA) nicht zum Datengrab wird. Sinngemäß betonte Prof. Berlage nachdrücklich, dass wir für Forschende einen effektiven Zugang auf die von Patientinnen und Patienten bereitgestellten hochqualitativen Daten brauchen, wenn wir als Forschungs- und Entwicklungsstandort wettbewerbsfähig bleiben wollen und für unsere Bevölkerung die Möglichkeiten der personalisierten Medizin der Zukunft erschließen wollen. Es muss gewährleistet sein, dass wir mit unserer „Datenspende“ ein lernendes Gesundheitssystem in Deutschland aufbauen. Badura verwies darauf, dass der Koalitionsvertrag ein Registergesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur besseren wissenschaftlichen Nutzung vorsieht und eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden soll. Frau Dr. Mundlos erläuterte, dass derzeit im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bereits über 30 Universitätsklinika mit weiteren Forschungseinrichtungen und Industriepartnern Datenintegrationszentren aufbauen. Ziel ist es, Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend zu verknüpfen und für die medizinische Forschung zu erschließen. Prof. Winkler ergänzte, dass dies analog zu Skandinavien zwingend auch sektorübergreifend, also über ambulante und klinische Versorgung hinweg, ausgeweitet werden müsse. Stellvertretend für die Selbsthilfe forderte Dr. Brunsmann, dass JETZT dafür gesorgt werden müsse, dass Datenstrukturen, technische Schnittstellen sowie semantische Inhalte der medizinischen Daten übergreifend festgelegt werden, damit alle Akteure des Gesundheitswesens in den Gesundheitsdaten eine einheitliche Sprache sprechen. Frau Dimde von der Gematik erklärte, dass mit der Einführung der ePA Anfang 2021 die fundamentale, technische Grundlage für die digitale Transformation des Gesundheitssystems gelegt wurde. Mit einer für alle Beteiligten anschlussfähigen Forschungsdatenschnittstelle, klaren Vorgaben zu Standards, Datenschutz und Datenqualität werde aus der elektronischen Sammelmappe eine forschungskompatible digitale Patientenakte, die echten Mehrwert für alle schafft. Man habe bereits zu Beginn der Legislatur Defizite bei der Datenverfügbarkeit, Interoperabilität und Rechtssicherheit festgestellt. Die Coronapandemie habe diese Schwächen offengelegt, aber auch Gelegenheit gegeben, Dinge zu beschleunigen, rundete Prof. Berlage ab. Das übergeordnete Zielbild eines stetig lernenden Gesundheitssystems mache evaluierbare Versorgungsprozesse erforderlich – dies gehe aber nur datengetrieben sinnvoll. Deshalb habe man noch in der ausgelaufenen Legislaturperiode die Einrichtung eines nutzerorientierten Forschungsdatenzentrums (FDZ) initiiert, das am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist. Von einer Anbindung der Daten aus der Primärversorgung an medizinische Register oder gar Sozialdaten, wie es in Finnland über eine individuelle Identifikationsnummer für jeden Bürger umgesetzt wird, sei Deutschland noch weit entfernt, gab Prof. Winkler zu Bedenken.

Als Fazit fasste Franz Badura abschließend zusammen, dass nach Einführung der ePA das eigene Datenmanagement aller Betroffenen unabdingbar sei, um durch diese Teilhabe konsequent einen Nutzen aus den Daten ziehen zu können. Angekündigte Gesetzesinitiativen der neuen Bundesregierung stimmten positiv, doch müsse im europäischen Vergleich noch sehr viel und ganz schnell aufgeholt werden.