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Proteinmenge steuert Defekt bei erblichen Augenerkrankungen

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Proteinmenge beeinflußt Art der Netzhautdegeneration

Hochspezialisierte Sehzellen in der Netzhaut sorgen dafür, dass wir unsere Umgebung scharf und farbig wahrnehmen: Die besonders lichtempfindlichen Stäbchen erlauben das Sehen im Dämmerlicht und in der Nacht. Die Zapfen dagegen sind für das scharfe Sehen bei Tageslicht und für das Erkennen von Farben zuständig. Eine der häufigsten Ursachen genetisch bedingter Netzhauterkrankungen beim Menschen sind Mutationen des Gens Peripherin-2 (PRPH2), das ausschließlich in diesen Fotorezeptoren aktiv ist. Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zeigen, warum die Mutationen sich ganz unterschiedlich auswirken – je nachdem, ob Sehstäbchen oder Sehzapfen betroffen sind.

„Wir konnten nun erstmals zeigen, dass PRPH2-Mutationen die in den Photorezeptoren produzierten Proteinmengen beeinflussen – und zwar auf ganz unterschiedliche Weise“, sagt der LMU-Pharmakologe Prof. Martin Biel, der mit seinem Team die zellulären Vorgänge untersuchte, die eine Mutation auslöst. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin PLOS Genetics.

Das Gen Peripherin-2 kodiert für ein gleichnamiges Protein, das notwendig ist für den korrekten Aufbau der lichtempfindlichen Anteile der Photorezeptoren. Weltweit leiden Schätzungen zufolge 100.000 Patienten unter einer allmählichen Degeneration der Photorezeptoren bis hin zur Blindheit, die durch Mutationen in diesem Gen ausgelöst wird. „Seit Jahrzehnten ist es ein ungelöstes Rätsel, weshalb manche Mutationen zur Degeneration von Sehstäbchen führen, andere dagegen vor allem die Sehzapfen betreffen“, sagt Elvir Becirovic, der Erstautor der Studie.

Schnitte ins Erbgut

Um diesen Effekt näher zu untersuchen, haben die Wissenschaftler mithilfe von speziell veränderten Viren – sogenannten Adenovirus-assozierten Viren (rAAV) – Mutationen im Peripherin-2-Gen spezifisch nur in den Photorezeptortyp eingeschleust, der durch die jeweilige Genveränderung auch tatsächlich beeinträchtigt wird. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die Mutationen die Umsetzung der genetischen Information beeinflussen: Beim Ablesen eines Gens entsteht zunächst eine Vorläufer-mRNA, aus der dann durch das sogenannte „alternative Spleißen“ bestimmte Bereiche herausgeschnitten werden. Beim Spleißen werden bestimmte Abschnitte der Vorläufer-mRNA herausgeschnitten und wieder zusammengesetzt. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Proteinsynthese. Dadurch entsteht die endgültige mRNA, die als Vorlage für die Produktion von Proteinen dient. Durch alternatives Spleißen können aus einer Vorlage unterschiedliche mRNAs und damit unterschiedliche Proteine gebildet werden. Über das alternative Spleißen kann die Zelle die molekulare Zusammensetzung, aber auch die Menge des jeweiligen Proteins regulieren.

Erklärung für unterschiedliche Wirkung von Mutationen

„Wir haben zunächst gezeigt, dass Sehstäbchen beim Spleißen deutlich effizienter sind und dadurch mehr Peripherin-2-Protein produzieren als die Zapfen. Die meisten Mutationen, die mit einer Degeneration der Stäbchen assoziiert sind, führten in unserer Untersuchung zu einer Reduktion der Proteinmenge in diesem Rezeptortyp, die teilweise durch eine geringere Spleißeffizienz entsteht“, sagt Becirovic. Im Gegensatz dazu führten die meisten Mutationen, die Zapfendefekte hervorrufen, zu einer Erhöhung der Proteinmenge in Sehzapfen. Dieser Effekt beruhte ausschließlich auf der Steigerung der Spleißeffizienz. Damit haben die Wissenschaftler zum ersten Mal nachgewiesen, dass krankheitsassoziierte Mutationen nicht nur durch eine Reduktion, sondern auch durch eine Erhöhung der Spleißeffizienz entstehen können. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sogar evolutionär, strukturell und funktionell verwandte Zelltypen wie Photorezeptoren sich in ihrem Spleißverhalten deutlich unterscheiden können, was die differenzierte Wirkung von Mutationen erklären kann“, sagt Becirovic . Die Wissenschaftler vermuten, dass Mutationen in anderen Genen ähnliche Effekte auf das Spleißen und die damit verbundene Proteinproduktion haben könnten.

Möglicher Ansatzpunkt für Therapie?

Die Studie ist auch für therapeutische Anwendungen sehr interessant, denn genetische Modifikationen mithilfe von rAAV-Genfähren sind laut Biel eine attraktive Methode, um Gendefekte beim Menschen zu behandeln. „Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass das rAAV-System auch zur Behandlung der genetischen Defekte in den Sehstäbchen und Sehzapfen eingesetzt werden könnte“, sagt Biel, an dessen Lehrstuhl solche sogenannten Gen-Fähren zur Behandlung retinaler Erkrankungen entwickelt wurden. „Da zusätzlich produzierte Proteine in den Sehzapfen vermutlich toxisch wirken, muss allerdings sichergestellt werden, dass es dabei nicht zu einer Überproduktion von Peripherin-2 in diesem Rezeptor kommt.“

Originalpublikation: PLOS Genetics 2016

Quelle: LMU München