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Tolle sehbehindertengerechte Führung im WOK-Küchenmuseum am 12.02.22

von Christian Schulte

Bereits vor einiger Zeit hatte jemand aus unserer Gruppe die Idee, dass wir einmal das WOK-Küchenmuseum im Hannoveraner Stadtteil List besichtigen könnten. WOK steht übrigens für World of Kitchen (die Welt der Küchen). Doch aufgrund anderer Aktivitäten und der Corona-Situation konnten wir dies erst am Samstag, dem 12.02.22 realisieren.

Gegen 12:00 Uhr trafen wir uns vor dem Hauptbahnhof am Ernst-August-Denkmal. Es war zwar nicht ganz warm, aber dafür schien nach ganz langer Zeit mal wieder die Sonne den ganzen Tag. Das hob die Stimmung. Nachdem wir uns begrüßt hatten, suchte ich für einige Single-blinde und stark sehbehinderte Teilnehmende Begleitungen. Dann ging es über den Ernst-August-Platz zur dortigen Bushaltestelle. Der bald eintreffende Bus brachte uns zum Lister Platz. Von hier war es nur ein recht kurzer Fußweg zum Restaurant Treibhaus.

Für 12:30 Uhr hatte ich dort einige Tische reservieren lassen, da wir wegen der Corona-Regeln nicht an einem Tisch sitzen durften. Am Eingang wurden unsere Impfpässe kontrolliert und ich übergab eine Teilnahmeliste mit Kontaktdaten. So entfiel das für viele mühselige oder gar nicht machbare Ausfüllen der Zettel am Tisch. Auch nachher im Küchenmuseum bin ich so verfahren. Im Lokal saßen wir zwar in der Sonne und insgesamt gefiel es uns dort recht gut, allerdings war der Geräuschpegel auch wegen anderer Gäste recht hoch und das Personal hätte etwas freundlicher sein können. Dafür wurden die bestellten Mittagsgerichte recht schnell serviert.  Dadurch waren wir etwas eher als gedacht fertig und konnten schon um kurz nach 14:00 Uhr das Restaurant verlassen.

Die allermeisten wollten bei dem schönen Wetter zu Fuß zum Küchenmuseum gehen. Dafür hatte eine 89-jährige Teilnehmerin, die lange in der Gegend gewohnt hatte, extra den Weg erkundet. Die Häuser am Straßenrand waren zwar recht hoch, sahen aber trotzdem durch Erker am Dach, die Farben und den Baustil recht gut aus. Ich erfuhr, dass der Stadtteil List eher zu den gehobenen in Hannover zählt. Leider verfehlten wir eine Abzweigung, sodass wir wieder ein Stück zurückgehen mussten. Allerdings nahmen es die meisten bei dem Wetter sportlich und dank des frühen Aufbruchs im Treibhaus kamen wir schon gegen 14:45 Uhr am Küchenmuseum, welches etwas versteckt in der Spichernstraße liegt, an.

Da wir 15 Interessierte waren, wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Führungen machte eine Dame und ein Herr. Unsere Führerin Heidi kam wie ich aus Rinteln. Zunächst mussten wir aber unsere Jacken und Taschen ablegen. Gegen 15:00 Uhr konnte es dann planmäßig losgehen. Wir wurden in unterschiedlicher Reihenfolge durch das Museum geführt, damit wir uns nicht ins Gehege kamen. Heidi berichtete, dass das Küchenmuseum 2010 in einer ehemaligen Druckerei eingerichtet wurde. Im Laufe der Zeit entstanden immer mehr Küchen Gegenden Deutschlands, aus anderen Ländern und verschiedenen Epochen. Sie wurden in der Regel gespendet und befinden sich in einem hervorragenden Zustand, obwohl sie teilweise schon sehr alt sind. Insgesamt sind etwa 50 ehrenamtlich Tätige dort beschäftigt, gut zehn davon als Führende.

Man merkte, dass Heidi mit Herzblut bei der Sache war. Sie versuchte, uns mit dem Einsatz fast aller Sinne die Küchen nahezubringen.  Zunächst standen wir aber vor einer Wand mit vielen Bildern von berühmten Köchen. Für mich war Tim Mälzer am bekanntesten, der hier schon gekocht hat.

Dann ging es zu einer Mittelalter-Küche etwa aus dem Jahr 1600. In ihr gab es sogar eine symbolisch dargestellte offene Feuerstelle. Heidi erklärte uns, wie es zu der Formulierung „einen Zacken zulegen“ kam. Der Topf hing an einem Metallstab mit unterschiedlichen Zacken, der aussah wie ein großes Sägeblatt, über der Feuerstelle. Musste das Essen schnell fertig sein, wurde der Topf an einen niedrigeren Zacken gehängt (also dichter an das Feuer).

Schon damals gab es Gaststätten. Heidi erklärte, dass was es mit der Redewendung „etwas auf dem Kerbholz haben“ auf sich hatte. Viele dachten, dass es hier um Kriminelle geht. Allerdings machte der Wirt damals mit einem Messer eine Kerbe auf einem Stück Holz. Die blieb so lange, bis der Gast seine Zechschulden bezahlt hatte. Aus akustisches Element ließ unsere Führerin einen künstlichen Hahn krähen. Später läutete ich in der Schweizer Küche noch die Kuhglocke.

In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Küche, die es etwa 1900 gab. Sie war schon etwas moderner eingerichtet, allerdings enthielt auch sie einen Feuerofen und fließendes Wasser gab es noch nicht. Die Männer mussten mit einem Balken auf den Schultern und zwei gefüllten Eimern links und rechts das Wasser aus Brunnen heranschaffen. Das Geschirr wusch man in Schubladen unter dem Esstisch ab. Heidi zeigte uns ein Butterfass und ein Gerät, mit dem man Butter herstellte und eine Art Schneebesen mit einer Kurbel. Wir durften alles ertasten und ausprobieren.

Jetzt bewegten wir uns einen Gang entlang, an dem sich an jeder Seite eine Küche neben der anderen befindet. Dabei ist auch ein Kellerraum, in dem teils eingekochte Vorräte lagerten. Wir bekamen eine kleine Wurst zum Kosten. Als nächste Küchen erlebten wir Modelle aus den 1950er, 1960-er, 1970-er und 1980-er Jahren aus Deutschland. Besonders die Küche aus den siebziger Jahren gefiel mir sehr gut, da sie mich an meine Kindheit erinnerte und sehr bunt war mit grünen und orangen Möbeln und Tapeten mit farbenfrohen Mustern. Wir konnten auch ein grünes Telefon mit Wählscheibe ausprobieren. Heidi sagte, dass Kinder heute gar nichts mehr damit anfangen können. In den 1980-er Jahren gab es dagegen Einbauküchen aus braunem Eichenholz. Außerdem machten wir noch bei einer Küche aus dem Alten Land mit einem Reetdach halt, wie etwas später bei einer bayerischen Küche mit einem Geweih an der Wand und blau/weißen Fahnen.

Allerdings gibt es im Museum nicht nur Küchen aus diversen Epochen aus Deutschland zu bestaunen. Den Anfang machte eine Tiroler Zirbelholzküche, in der wir auch diverse Dinge ertasten konnten. Einige Küchen durften wir auch betreten, was normalerweise nicht erlaubt ist. Auch das Ertasten von Gegenständen ist sonst untersagt. Die russische Datschen-Küche beinhaltete ein Sofa und im rückwärtigen Bereich eine Leiter, die zu den darüberliegenden Schlafzimmern führte. Etwas das dem Rahmen fiel eine Flugzeugküche mit Möbeln aus Metall, die aber auch schon viele Jahrzehnte alt ist. Während uns das Aussehen der folgenden Küchen aus England, den Niederlanden, der Schweiz, Italien und Griechenland beschrieben wurde, bekamen wir Stäbchen mit Käse und einer kleinen Tomate und Trauben gereicht. Die meisten der Länder-Küchen sind ca. hundert Jahre alt. Damit dieser Bericht nicht zu lang wird, kann ich sie hier nicht im Detail beschreiben. Wir erfuhren, dass es auch eine Champagner-Führung gibt. Hier wird eine Flasche mit einem Schwert geköpft. Auch dies durfte ich ertasten. Es gehört zur französischen Küche. Wir kamen zudem an einem sehr vornehm eingerichteten Esszimmer aus dem britischen Königshaus vorbei und durften einen Löffel aus Gold ertasten.

Da wir schon länger auf den Beinen waren, konnten wir uns in einem arabischen Herrschaftszimmer hinsetzen und bekamen von Heidi eine Tasse schwarzen Tee mit einem Minze-Blatt und Kekse dazu serviert. Es fiel mir auf, dass das Dach sehr farbenfroh gestaltet ist. Jetzt führte man uns in ein argentinisches Speisezimmer aus dem Jahr 1927 mit einem großen Tisch und einer Diener-Figur. Auch sonst wirkte alles recht mondän.  Nun kamen wir zu einem Sarotti-Zimmer (Schokolade aus Berlin, die wir auch probieren durften). Am Ende konnten wir noch durch ein kleines Türfenster in eine Art Küche im Rotlichtmilieu schauen.

Gegen 17:00 trafen wir wieder auf die andere Gruppe. Heidi wurde von mir für ihre sehr tolle Führung gelobt und bekam dafür Applaus. Sie ist gut auf unsere Bedürfnisse eingegangen. Wir ließen uns an den Tischen nieder, konnten Kaffee oder Tee trinken und bekamen je zwei Stück Kuchen serviert (auch dies hatte ich vorab für alle überwiesen und bekam es an diesem Tag in bar zurück). Wir waren uns einig, dass das Küchenmuseum einen Besuch wert ist.

Da ein Bielefelder Ehepaar gerne um 18:09 Uhr mit einem Regionalzug von Hannover nach Hause durchfahren wollte, da die Züge nur alle zwei Stunden fahren, mussten wir uns etwas sputen. So ging es zu Fuß zu einer einige hundert Meter entfernten U-Bahn-Station. Diese kam auch schnell, allerdings waren noch nicht alle mit dem Fahrstuhl unten angekommen. So stellte ich mich eine Weile in die Tür bis alle eingestiegen waren. Bis zum Hauptbahnhof war es nur eine Station. Alle, die Richtung Bückeburg und Bielefeld weiterfahren mussten, gingen zum entsprechenden Gleis. Allerdings gab es hier auf den letzten Moment noch eine Gleisverschiebung. Wir erblickten hier aber Matthias Töpler und seine Frau, die gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und weiter mit unserem Regionalzug fahren wollten. Auf diese Weise konnten wir uns alle noch über den schönen Tag und den Urlaub unterhalten und die Zeit bis zum Ausstieg in Bückeburg um 18:44 Uhr verging sehr schnell. Wir hatten einen schönen und interessanten, manchmal auch aufregenden Tag, bei dem aber letztendlich alles gut geklappt hat.