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Wo Inklusion noch hakt - Mai 2023
Ute Stephanie Mansion
Die Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten, Claudia Middendorf, stellte ihre Arbeit bei einem Treffen der Regionalgruppe Düsseldorf vor. Und lud dazu ein, ihr die Anliegen blinder und sehbehinderter Menschen mit auf den Weg zu geben. Das taten die Zuhörerinnen und Zuhörer und kritisierten zum Beispiel Lücken im Gesundheitswesen und Barrieren auf der Straße und auf Bezahlgeräten.
Manchmal haben große und oft erfolgreiche Sportmannschaften und blinde und sehbehinderte Menschen etwas gemeinsam: Sie stehen auf der Verliererseite. Die Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Menschen mit Behinderung und Patientinnen und Patienten, Claudia Middendorf, hatte es am letzten Samstag im Mai 2023 gleich mit beiden Gruppen zu tun. Die eine Gruppe – Borussia Dortmund – beschäftigte sie als Dortmunderin an diesem Tag gedanklich, wie sie bekannte, denn die Mannschaft sollte an diesem Tag den Traum wahrmachen, dass zum ersten Mal nach 2012 eine andere Elf als die von Bayern München deutscher Fußballmeister wurde. Sie vergeigte es.
Die andere Gruppe war die der blinden und sehbehinderten Mitglieder verschiedener Regionalgruppen NRWs und des Blinden- und Sehbehindertenvereins Düsseldorf: Auf Einladung der Regionalgruppe Düsseldorf waren sie in den Gemeindesaal der Schlosskirche Düsseldorf Eller gekommen, um von Claudia Middendorf mehr über deren Arbeit zu erfahren, Fragen zu stellen und Wünsche an sie heranzutragen.
Säulen der Arbeit der Beauftragten
Middendorf berichtete, dass sie die einzige Beauftragte eines Bundeslandes sei, die zugleich für Menschen mit Behinderung als auch für Patientinnen und Patienten zuständig ist. Sie sei vom Landeskabinett berufen, aber nicht weisungsgebunden. Ihre Arbeit beruhe auf drei Säulen. Die erste ist der Kontakt zu Interessenvertretungen. Dazu gehören unter anderem die 780 Selbsthilfegruppen in NRW. Ebenso zählen die Patientenfürsprecher und -fürsprecherinnen in den Krankenhäusern dazu, die es auch dank ihres Einsatzes nun in jedem Krankenhaus geben würde.
Als einen Erfolg ihrer Arbeit beschrieb die Beauftragte in diesem Zusammenhang die Änderung bei Besuchsregeln: Nach den Erfahrungen während der Pandemie, in denen Menschen in Kliniken einsam gestorben seien, ohne ihre Angehörigen vorher noch einmal zu sehen, dürften die Krankenhäuser jetzt nicht mehr von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und Besuche verbieten, auch nicht während Krisen oder Pandemien. "Das darf nie wieder passieren", betonte Middendorf im Rückblick auf die Coronazeit.
Die zweite Säule ist die Beratung der Landesregierung zu Gesetzes- und Verordnungsvorhaben, die die Belange der Menschen mit Behinderung berühren.
Bürgeranfragen sind die dritte Säule ihrer Arbeit, berichtete Middendorf. Wer zum Beispiel Probleme mit seiner Krankenkasse habe, weil diese ein Hilfsmittel nicht bezahlen wolle, könne sich an die Beauftragte wenden. Pro Jahr erreichten sie rund 1.000 Bürgeranfragen, während der Coronazeit waren es rund 2.000.
Ein Sack voller Fragen, Wünsche, Anregungen
Die Fragerunde eröffnete Middendorf mit den Worten: "Ich möchte ein Säcklein mit Ihren Fragen, Anregungen und Wünschen mitnehmen." Es wurde ein großer Sack, wie sie später selbst feststellte.
Das Thema Barrierefreiheit zog sich als roter Faden durch fast alle Fragen und damit verbundenen Wünsche. Ein Teilnehmer sagte, dass kaum bekannt sei, dass es in Krankenhäusern Patientenfürsprecher gebe. Auf die Antwort der Beauftragten, jedes Krankenhaus handhabe es anders, darüber zu informieren, etwa durch Aushänge oder in einer Begrüßungsmappe, kam die Nachfrage, ob diese Informationen auch in Brailleschrift oder als Audioformate zur Verfügung stünden. Middendorf räumte ein, dass es hier Mängel gibt. Ebenso seien Schwerhörige und Gehörlose in Krankenhäusern benachteiligt, ergänzte sie, da dort keine FM-Anlagen oder Gebärdendolmetscher eingesetzt würden.
E-Roller: Überall im Weg
Auf das Problem herumstehender und -liegender Elektroroller angesprochen, sagte Middendorf, dass die Fahrzeuge an dafür vorgesehenen Sammelflächen abgestellt werden könnten. Das beziehe sich nur auf Innenstädte, kam es aus dem Publikum. In anderen Stadtteilen würde weiterhin wild geparkt. Eine app, die einen Signalton sendet, sobald ein E-Roller als Barriere auftaucht, wurde allgemein nicht als Lösung akzeptiert, unter anderem weil viele ältere seheingeschränkte Menschen mit digitalen Geräten nicht gut zurechtkämen.
Auch das Landesbaurecht, das keineswegs überall für Barrierefreiheit sorge, wurde erwähnt. Als Beispiel für mangelnde Barrierefreiheit nannte ein Teilnehmer nicht kontrastreiche Lichtschalter in Hotels – für sehbehinderte Menschen sind sie kaum zu finden.
Barriere: Bargeldlos bezahlen
Auf eine weitere Barriere für blinde und sehbehinderte Menschen, die sich eines Tages noch gravierender auswirken könnte als jetzt, wies Peter Joedecke, Sprecher des Runden Tisches Gesellschaftliche Teilhabe, hin: Bargeldloser Zahlungsverkehr, bei dem häufig – etwa in Restaurants – Touch-Bildschirme eingesetzt würden. Sie zu bedienen, sei mit Seheinschränkung nicht möglich.
Versorgungslücken
Versorgungslücken im Gesundheitswesen waren ein weiteres Päckchen, das die Zuhörerinnen und Zuhörer der Landesbeauftragten in den "Problemsack" warfen. So ging es in der Diskussion zum Beispiel darum, dass es für Menschen mit Behinderung schwierig bis unmöglich sei, Assistenz in eine Reha-Klinik mitzubringen. Das Problem gelte für alle Behinderungsarten, sagte Middendorf. Es sei inzwischen möglich, Assistenz mit in Krankenhäuser zu nehmen. Bei einer Reha-Maßnahme sei das auch deshalb schwierig, meinte eine Teilnehmerin, weil niemand aus dem privaten Umfeld Zeit habe, einen Menschen mit Behinderung für mehrere Wochen zu begleiten. Die Frage der Finanzierung wurde dabei nur gestreift. Sie stellt sich vor allem, wenn etwa bei Alleinstehenden niemand aus dem privaten Umfeld zur Verfügung steht.
Als eine weitere Versorgungslücke wurde Reha nach Sehverlust genannt. Während es nach einem Herzinfarkt oder einem orthopädischen Eingriff selbstverständlich sei, dass die Patientinnen und Patienten eine mehrwöchige Reha antreten könnten, stünden Menschen nach einem Sehverlust ohne Unterstützung da. Über Hilfsmittel würden sie von Ärzten oft nicht ausreichend informiert und müssten zudem lange darauf warten. Ebenso würden sie nichts über blindentechnische Fähigkeiten erfahren, lautete die Kritik. "Die Menschen stehen allein da, völlig allein", betonte Maria Knoke vom Leitungsteam der Regionalgruppe Düsseldorf. "Keiner fühlt sich zuständig."
Team steht zur Verfügung
Claudia Middendorf versprach, die vorgebrachten Themen in die Politik einzubringen, ebenso bei Ärztekammern, Krankenkassen und Rententrägern. Der Eindruck, den sie den Zuhörerinnen und Zuhörern vermittelte, war der einer Landesbeauftragten, die im Sinne von Menschen mit Behinderung Dinge verändern will. Sie ermunterte alle, sich bei Anliegen, die die Behinderung oder eine Krankheit beträfen, an sie persönlich zu wenden. Auch ihr Team stünde für Fragen und Wünsche zur Verfügung.
Ausgrenzung oder Inklusion?
Die Dortmunder Fußballer gingen am Ende dieses Samstagnachmittags als Verlierer der Saison vom Platz. Ob blinde und sehbehinderte Menschen weiterhin in vielen Bereichen von Teilhabe ausgegrenzt oder endlich inkludiert werden, wird sich nicht während einer "Spielzeit", also zum Beispiel einer Legislaturperiode, zeigen. Die Umsetzung vieler barrierefreiheits- und inklusionsfördernder Gesetze wird wahrscheinlich länger auf sich warten lassen. Um an die Dringlichkeit der Anliegen behinderter Menschen zu erinnern, muss das Gespräch mit Verantwortlichen aus der Politik immer wieder gesucht werden. Denn, wie ein Gast sagte: "Es darf nicht passieren, dass wir blinden und sehbehinderten Menschen am Ende wieder die Deppen sind."
Kontakt zur Landesbeauftragten
Telefon:
02 11 / 8 55 – 30 08 (allgemein)
02 11 / 8 55 – 30 21 (persönlich)
E-Mail:
kontakt@lbbp.nrw.de
claudia.middendorf@lbbp.nrw.de
Mehr Infos unter:
www.lbbp.nrw.de/die-beauftragte