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Kennzeichnungspflicht bei Blinden und Sehbehinderten

Von Sandra Moqaddem

  • Gibt es das überhaupt?

  • Enstehen rechtliche Konsequenzen bei Nichtbeachtung?

 

Thomas Stetter aus dem Vorstand von PRO RETINA Deutschland [eV] hielt auf unserer Regionalgruppenveranstaltung am 16.07.2011 in Köln zwei sehr interessante Vorträge.

Thomas Stetter führte zwei Beispiele an, die für uns als Sehbehinderte und Blinde zusätzliche Gefahrenquellen darstellen können. So zum Einen "Shared space", einem ausgewiesenen Gebiet in einer Ortschaft als Mischverkehrsfläche, in dem sämtliche Verkehrsregelungen wie Ampeln und Verkehrsschilder oder auch Bordsteinkanten und Leitlinien abgeschafft werden und in dem sämtliche Verkehrsteilnehmer wie - plakativ gesprochen - Kleinkind, Rollstuhlfahrer, Radfahrer, Autofahrer oder der Führer eines schweren Lastwagens, Sehbehinderter oder Blinder die gleichen Rechte und Pflichten haben: Verständigung durch gegenseitige Rücksichtnahme und Handzeichen zwischen den Verkehrsteilnehmern auf der Grundlage gleicher (visueller) Ausgangsbedingungen. Das zweite Beispiel waren die leiser werdenden Motoren und die Entwicklung von Elektromotoren oder Hybridmotoren. Auch die Reifen werden leiser und es wird flüsterleiser Asphalt verbaut. Hierdurch wird die auditive Wahrnehmung von Autos für uns erheblich erschwert.

Zur Kennzeichnung Blinder und Sehbehinderter

Es gibt in dem Sinne kein Gesetz, das vorschreibt, dass Blinde und Sehbehinderte sich kennzeichnen müssen. Vielmehr ist die Kennzeichnung in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geregelt, in der es heßt:

 

Zu § 2 Absatz 1 FeV:

"Grundsätzlich liegt Verkehrsunsicherheit vor, wenn der körperliche oder geistige Mangel derart sein muss, dass der Betroffene einer Teilnahme am Verkehr ohne Hilfe oder Ausgleichsvorkehrungen nicht gewachsen ist."

 

Hierzu ein Beispiel aus der Rechtsprechung (KG VRS 10, 304):

 

"Ein Fußgänger, der wegen an Blindheit grenzenden Augenleidens bei Dunkelheit einen Radfahrer nicht rechtzeitig erkennen kann, vermag sich bei Überschreiten der Fahrbahn nicht sicher zu bewegen."

 

 

Folge hieraus ist, dass der Sehbehinderte dann sogar vollumfänglich für Schäden haftet, die den Unfallbeteiligten entstehen.

Im Ergebnis darf derjenige, der sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann, daran "ohne Ausgleich" nicht teilnehmen. Auf einen solchen "Ausgleich" oder "Vorsorge" bei den verkehrsschwachen Personen kommt es deshalb im Wesentlichen an. Die Verletzung der Vorsorgepflicht ist ordnungswidrig im Sinne des § 75 Nr. 1 FeV (externer Link).

 

 

Zu § 2 Absatz 2 und 3 FeV

Die Kennzeichnung ist in einer Kann-Vorschrift (externer Link) geregelt. Wie aus Absatz 3 ersichtlich, ist ein Verstoß ordnungswidrig und kann mit einem Bußgeld (externer Link) geahndet werden (§ 75 Nr. 2 FeV).

 

Um es noch einmal klar und deutlich zusammen zu fassen: Es gibt keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht.
Aber:
Die Verletzung der Vorsorgepflicht durch Kennzeichnung im Straßenverkehr stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Das Unterlassen der Kennzeichnung kann bei der Verschuldensfrage zu einem erheblichen Mitverschulden führen, im Einzelfall bis hin zur Vollhaftung. Für die Bedeutung bei der Beweiswürdigung heißt das: Bei Verstoß gegen die Vorsorgepflicht nach § 2 FeV kann der so genannte Prima facie-Beweis greifen, das heißt der Beweis des ersten Anscheins. Bei Verwendung der Verkehrsschutzzeichen gilt dagegen die übliche Beweislastverteilung: Der Gegner muss beweisen, dass das Verschulden den blinden oder sehbehinderten Verkehrsteilnehmer trifft.

Im Ergebnis gleicht die Kennzeichnung im Straßenverkehr lediglich die Gleichbehandlung aus, das heißt, die Beweissituation wird nicht verbessert, aber zumindest ausgeglichen.

Besonderheiten bei den Shared Spaces

Viele Städte und Gemeinden realisieren so genannte Shared Spaces, also gemeinsam genutzten Raum im Straßenverkehr ohne Verkehrszeichen, Signalanlagen oder Fahrbahnmarkierungen.

Gerade in solchen Bereichen hat die Kennzeichnung besondere Bedeutung, weil ohne Kennzeichnung sicherlich stets von einer Alleinhaftung des nicht erkennbaren sehbehinderten Verkehrsteilnehmers auszugehen ist. Es gibt keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht. Aber die FeV regelt eindeutig, dass der Betroffe im Falle einer Nicht-Kennzeichnung und im Falle eines Schadensfalles mit möglichen Regressansprüchen rechnen muss.

Thomas Stetter spricht abschließend die Empfehlung aus, sich stets zur eigenen Sicherheit zu kennzeichnen - sei es im Straßenverkehr, auf der Skipiste mit einer Weste mit drei schwarzen Punkten auf gelbem Grund oder im Schwimmbad mit einer ebensolchen Badekappe.