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Wolfgang Schweinfurth wird von seinem schwarzen Blindenführhund geführt. Der Labrador trägt ein weißes Führgeschirr, das Wolfgang Schweinfurth in der linken Hand hält.
Wolfgang Schweinfurth wird von seinem schwarzen Blindenführhund geführt. Der Labrador trägt ein weißes Führgeschirr, das Wolfgang Schweinfurth in der linken Hand hält.

Artikel in "Die Rheinpfalz" vom 9.10.2019,  Autorin: Constanze Junk

Die Diagnose kam vor fast elf Jahren. Die aggressive Form. Wolfgang Schweinfurth (52) wusste, er wird erblinden. Sein Augenlicht hat er vor zwei Jahren verloren. Heute hilft er als Leiter der Regionalgruppe Pfalz des Vereins Pro Retina Menschen mit Netzhauterkrankungen. Ende Oktober stellt die Gruppe ein Symposium rund um die Krankheit und Hilfsmittel für den Alltag auf die Beine. Limburgerhof. Wolfgang Schweinfurth weiß, wie die Haare seiner Frau Roswitha schimmern, wie eine grüne Wiese aussieht, wie blau der Himmel sein kann. Mehr als vier Jahrzehnte seines Lebens konnte er sehen. Er sei Brillenträger gewesen und kurzsichtig "Sonst war aber alles ganz normal", erinnert er sich. 2008 deuteten sich die ersten größeren Probleme an. Er konnte plötzlich Treppenstufen nicht mehr erkennen. Schwierigkeiten, im Dunkeln zu sehen, hatte er schon länger. Am 5. Januar 2009 bekam der heute 52-jährige in der Mainzer Augenklinik dann die Diagnose, die sein Leben verändern sollte: Retinitis pigmentosa in aggressiver Form. Eine Augenerkrankung, die die Zerstörung der Netzhaut und des sehfähigen Gewebes am Augenhintergrund zur Folge hat. Er würde erblinden. Die Krankheit wird durch einen Gendefekt ausgelöst, von dem in Deutschland etwa 30.000 Menschen betroffen sind. Die Chance, dass sich die aggressive Form entwickelt, liege bei eins zu vier Millionen, erzählt er. "Es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen."

Das Leben neu geordnet                                                                                                                                                                                                                                            Pro Retina wurde ihm von seinem Arzt empfohlen. "Der Verein hat mir sehr geholfen", sagt Schweinfurth. So sehr, dass er sich entschieden hat, selbst aktiv zu werden.  Als Leiter der Regionalgruppe Pfalz zum Beispiel. 2017 habe der Ober-Olmer (Landkreis Mainz-Bingen) sie aus dem Dämmerschlaf geholt, erzählt er. Gut 120 Mitglieder zwischen 16 und 92 Jahren hat die Gruppe derzeit. Drei bis vier Mal treffen sich die Mitglieder pro Jahr, tauschen sich aus, helfen sich gegenseitig." Die Menschen haben eine Odyssee hinter sich", erzählt er. Die Frage, wie es weitergeht, bestimme nach der Diagnose das Leben. Ängste, Hilflosigkeit, Verzweiflung - all das mache sich breit. Sie fragen sich, wie sie im Alltag zurechtkommen sollen. Was die Angehörigen sagen. Oder ob Menschen es seltsam finden, dass sie sie nicht mehr direkt angucken. "Letzeres passiert bei der Makula-Degeneration, da die Betroffenen nur noch in der Peripherie sehen."Es gibt aber auch Betroffene, deren Angehörige nicht wissen, dass sie erkrankt sind. Die Scham sei zu groß. Schweinfurth hat sein Leben umstellen müssen in den vergangenen Jahren. Seine Frau Roswitha sei ihm eine unendlich große Stütze gewesen. Das Paar musste sein Leben neu ordnen. Auch in kleinen Dingen. "Normalerweise bin ich Auto gefahren, habe handwerkliche Sachen gemacht und im Garten gearbeitet", erzählt der gelernte Elektrotechniker, der mittlerweile in Frührente ist. Gut ein Jahr nach seiner Diagnose verlor Schweinfurth die Fähigkeit, Farben zu sehen, wenige Monate später sah er die Welt nur noch durch einen nähnadelgroßen Tunnel. "Das Licht hat sich gebündelt und im Auge gebrannt wie Feuer", erzählt Schweinfurth.                                                                    Damals hat er sich für eine Schutzbrille gegen die Schmerzen entschieden. "Ich musste ja warten, bis der Tunnel zugeht." " Sieben Jahre hat das gedauert." Die Schmerzen sind weg, aber auch die Fähigkeit, hell und dunkel zu unterscheiden. Die Schutzbrille hat er trotzdem nicht vollständig abgelegt. "Regen und Wind tat in den Augen weh. Ich war es nicht gewohnt".

Mister X zeigt den Weg                                                                                                                                                                                                                                               Seit fünf Jahren steht ihm Mister X zur Seite, ein Blindenhund. Der schwarze Labradorrüde wurde in der Schweiz ausgebildet und hilft Schweinfurth, den Alltag leichter zu meistern, sich freier bewegen zu können. "Er ist mir eine sehr große Hilfe." Mister X zeigt beispielsweise Treppenstufen an oder bleibt stehen, wenn er an einen Bordstein tritt. Kleinigkeiten, die seinem Halter helfen, nicht vor ein Auto zu laufen. Denn in Zeiten von Elektromobilität helfe oftmals das beste Gehör nichts. Aber auch das Können von Mister X hat seine Grenzen, wenn Indikatoren auf der Straße fehlen, er bei einem abgesenkten Bordstein nicht mit den Pfoten spürt, dass die Straße beginnt. Darauf will Schweinfurth Kommunen nun aufmerksam machen. Er hat sich zum Fachberater für barrierefreies Bauen ausbilden lassen. "Mir ist wichtig, dass man ein inklusives Leben führen kann", sagt er. "Hier in Limburgerhof gibt es viele abgesenkte Bordsteine. Dem könnte man mit unterschiedlichem Belag entgegenwirken, wenn es schon keine Bodenindikatoren gibt. Das ist ein Sicherheitsaspekt."

Ärzte und Firmen vor Ort                                                                                                                                                                                                                                              In der Gemeinde fand nicht nur im August ein Pro-Retina Gruppentreffen statt. Für den 26. Oktober plant Schweinfurth im katholischen Pfarrheim ein Patientensymposium.       Seit November 2018 läuft die Planung. Fünf Hilfsmittelfirmen werden vor Ort sein, Vorlesegeräte, Vergrößerungssoftware und auch  Abspielgeräte vorstellen. Dinge, die Menschen mit Sehbehinderung das Leben erleichtern können. Hinzu kommen Expertenvorträge und Orientierungs- und Mobilitätstraining. Ein großes Rund-um-Paket, findet Schweinfurth. "Wir wollen damit betroffenen Menschen Mut machen und Wege aufzeigen für ein lebenswertes und selbstbestimmtes Leben - trotz aller Einschränkungen." Aber auch andere möchte er sensibilisieren. "Die Leute sollen selbst aktiv werden", betont er. Sein Tipp: Den Augeninnendruck regelmäßig messen und den Augenhintergrund checken lassen. Diese Tests und auch eine Gesichtsfeldmessung seien nötig, um eine Makula-Degeneration ausschließen zu können. Im Laufe der Jahre hat der 52-jährige seine Krankheit angenommen. "Aber es gibt noch immer Tage, an denen ich denke, dass ich aus einem Alptraum aufwache", sagt er. Seine Wahrnehmung der Welt hat sich verändert. "Stimme und Größe zählen - alles andere ist für mich unwichtig", sagt er. Seine Nase ersetze die Augen, die Ohren seien sehr gut geworden. Die Sinne versuchen, den verlorenen so gut wie möglich zu ersetzen. Halt bekomme er von Freunden - auch von den neuen, die er durch seine Krankheit gewonnen hat. Und eben von seiner Frau Roswitha. "Ihr Gesicht vor meinen Augen werde ich nie vergessen."  

Anmerkung: Der Abdruck dieses Artikels und des Bildes wurden genehmigt von der Zweitverwertung der "Rheinpfalz".