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Sorgen? Werden vertagt auf morgen!

Eine junge Frau schulterlangem braunem Haar und Sonnenbrille lehnt an ein Balkongitter. Im Hintergund Meer und Berge.
Linda Meschke reist gerne. In Europa ist sie schon tüchtig herumgekommen. Einen weiteren Reisewunsch hat sich noch: Sie möchte gerne Wale beobachten.

Von Susanne Hölter

Mit Elli und Lilli auf der Couch. Das ist gemütlich. Die beiden Katzendamen schnurren behaglich, wenn Linda Meschke Feierabend hat, sich ein gutes Buch schnappt und die Lesestunde beginnt. Romane verschlingt die 36-Jährige Dresdnerin buchstäblich. Am liebsten mag sie heitere Komödien.

Das ist ein schöner Ausgleich zum Beruf. „Ich organisiere Klassenfahrten für einen Reiseveranstalter“, sagt Linda. Und nach Corona gebe es jetzt wieder viel zu tun. Italien, Gardasee und Berlin stehen bei den Schulen ganz oben auf der Liste. „Nach Malta fahren besonders die Englischkurse gerne“, sagt die gelernte Touristikassistentin. „Da ist das Wetter ja auch viel besser als in England“, schmunzelt sie.

Der Job macht ihr Freude, 40 Stunden in der Woche – dann der Haushalt, die Katzen, Ehemann Thomas und was noch? „Freizeit! Freizeit zu genießen, ist mir sehr wichtig“, sagt Linda.

So what?

So ein Leben führen viele junge Frauen, berufstätig, erfolgreich und erfüllt.

Doch bei Linda ist vieles anders. Sie hat Retinitis pigmentosa. Das ist eine Erkrankung der Netzhaut. Sie beginnt in jungen Jahren und führt schrittweise Richtung Blindheit. Ihr Gesichtsfeld ist stark eingeschränkt. Bei jungen, augengesunden Menschen beträgt es etwa 180 Grad, bei Linda sind es noch 15. Sie betrachtet die Welt wie durch einen langen Tunnel oder wie durch ein Schlüsselloch.

Linda: „Ich war schon sehr früh kurzsichtig und regelmäßig beim Augenarzt zur Kontrolle. Der Arzt guckte sich meine Netzhaut an, sprach oft von zunehmenden ,Verknöcherungen‘. Der Arzt machte zwar Gesichtsfelduntersuchungen, hat aber weiter nichts gesagt.“ – Und keiner fragte nach, nicht das junge Mädchen und auch nicht die Eltern. „Ich wusste nur, dass meine Sehkraft immer weiter nachlässt und ich im Dunkeln schlecht sehe.“ Mehr wusste Linda nicht.

„Meine Eltern haben mich dazu erzogen, nicht über eigene Krankheiten zu sprechen.“ Es sollte niemand mitbekommen, dass Linda schlecht sieht. Auch ihr Vater versteckte seine Augenerkrankung, die Linda von ihm erbte. „Zeigt man seine Schwächen, macht man sich angreifbar – das war die Devise“, erzählt Linda Meschke heute.

Nicht der Augenarzt, sondern Dr. Zufall und Dr. Google klärten Linda auf. „Vor neun Jahren wurde ich in der Uniklinik in Dresden am Grauen Star operiert“, erinnert sich Linda. Die Linsentrübung hatte sich seit ihrem 18. Lebensjahr zusätzlich entwickelt.

Auf dem Entlassungsbericht der Klinik standen Diagnosen. Da begannen Linda und ihr Mann zu recherchieren. „Ich habe erstmals erfahren, was Retinitis pigmentosa eigentlich ist, was die ,Verknöcherungen‘ sind und wie sich das Sehen entwickeln kann. Ich war geschockt!“

Ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann Thomas half ihr, an aktuelle Informationen und Studien zu gelangen. „Wir haben viel darüber geredet und überlegt, wie wir mit der Diagnose umgehen.“ Linda Meschke hatte das Gefühl, ihr bisheriges Leben überdenken zu müssen und es auf den Kopf zu stellen.

„Sollte ich aufhören zu arbeiten? Sollten wir ganz viel reisen, so lange ich noch etwas sehen kann?“ Was sollte sie tun, was sollte sie lassen? Doch dann fassten Linda und Thomas einen Entschluss: „Wir wollten nicht, dass diese Krankheit unser Leben bestimmt.“ Und so leben sie ihr Leben wie viele andere auch. Sie unternehmen Ausflüge, fahren Rad, reisen, besuchen Museen, treffen Freunde. Und sie reden viel miteinander, auch über ihre Erkrankung. Linda: „Thomas hört immer zu und findet immer die richtigen Worte. Er ist einfach immer da.“

Aufkommende Sorgen versucht die junge Frau auf morgen zu vertagen. „Klar, manchmal frage ich mich zum Beispiel, wie lange ich noch lesen kann.“ Doch es gelingt ihr „darüber hinweg zu denken“, wie sie es ausdrückt.

Im Krankenhaus drückte man ihr einen Flyer von der Selbsthilfeorganisation Pro Retina in die Hand. Die Organisation kümmert sich um Menschen, die an der Netzhaut erkrankt sind. Kurzentschlossen nahm sie Kontakt auf, suchte Kontakt zu Gleichaltrigen und gründete die Gruppe Junges Forum Dresden, deren Mitglieder regelmäßig etwas gemeinsam unternehmen. „So wuchsen freundschaftliche Beziehungen“, sagt Linda. Die Begegnungen mit anderen Erkrankten waren wie ein Wendepunkt in ihrem Leben. „Ich habe viel Hoffnung geschöpft, weil ich so viele getroffen haben, die trotz ihrer Einschränkung ein erfülltes Leben führen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich weiß nun, es geht weiter. Ich habe keine Angst mehr vor der Zukunft.“

Kurz erklärt

Retinitis pigmentosa: Bei der Retinopathia pigmentosa (besser bekannt als Retinitis pigmentosa) handelt es sich um eine Gruppe von erblichen Erkrankungen der Netzhaut. Es kommt zum schrittweisen Absterben der Netzhautzellen, zur Verringerung der Sehschärfe, zu Nachtblindheit und Ausfällen im äußeren Bereich des Gesichtsfeldes. Am Ende können die Betroffenen erblinden.

Gesichtsfeld: Das Gesichtsfeld ist jener Bereich, den man sieht, wenn man auf einen Punkt starrt, ohne zusätzlich die Augen zu bewegen. Das Gesichtsfeld ist in der Jugend am größten. Es umfasst etwa 175 Grad. Im Alter wird es kleiner und liegt bei Gesunden etwa bei 139 Grad, viele RP-Erkrankte haben ein Gesichtsfeld von unter 10 Grad.