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Stammzell-Therapie fürs Auge? Ein kritischer Beitrag

Stammzell-Therapie bei Hornhautdefekt

Seit Kurzem ist in der EU das erste Präparat mit gezüchteten Stammzellen zugelassen. Es soll bei einem speziellen Hornhautdefekt helfen. Ein Meilenstein der Stammzell-Forschung.

Aus dem Körper Stammzellen entnehmen, daraus Ersatz für zerstörtes Gewebe herstellen und damit Patienten erfolgreich behandeln, auf dieses Ziel arbeiten weltweit viele Forscher hin. Bei einem seltenen Hornhaut-Defekt im Auge ist es erreicht. Im Februar dieses Jahres wurde in der Europäischen Union das erste Präparat zuge­lassen, das gezüchtete Stammzellen enthält. Davon sollen Menschen profitieren, bei denen die äußere Schicht der Augenhornhaut so stark beschädigt ist, dass sie sich nicht mehr selbst erneuern kann. Oft entstehen solche Schäden infolge eines Unfalls mit Chemikalien. Unbehandelt trübt das Auge ein, schlimmstenfalls erblindet es. Mit der neuen Therapie können Experten die Sehfähigkeit wiederherstellen, sofern in einem Auge ihres Patienten noch intakte Stammzellen vorhanden sind.

Körper toleriert eigenes Gewebe

Dr. Tim Krohne, Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik in Bonn und MD-Forschungspreisträger 2012 der PRO RETINA, sieht in dem neuen Präparat einen Wegbereiter für zellbasierte Therapien. „Das wird die Zulassung weiterer Produkte erleichtern“, sagt der Stammzellforscher. „Labore arbeiten daran, die gesamte Hornhaut des Auges nachzubilden“, ergänzt Krohne. Doch bis solche Therapien etabliert sind, werde noch viel Zeit vergehen.

Das gilt auch für andere geschädigte Gewebe, für die Ersatz benötigt wird. Überall im Körper befinden sich Stammzellen, die bestimmte Gewebe erneuern. Viele experimentelle Therapien werden an Testpersonen erprobt. Das US-Register Clinical Trials zählt mehr als tausend laufende Studien. Fast alle sind darauf ausgerichtet zu zeigen, dass die verpflanzten Zellen keinen Schaden anrichten (Studien der Phase I/II). Darunter befinden sich nur wenige Studien, die auf embryonalen Stammzellen basieren. Das liegt an ethischen Bedenken, Embryos für therapeutische Zwecke zu züchten und zu zerstören. Doch nur ihre Zellen haben das Potenzial, jeden Zelltyp im Körper zu bilden. Diese einzigartige Erneuerungskraft macht sie zu einem begehrten Forschungsobjekt.

Embryonale Stammzellen bei Augenkrankheiten hilfreich?

Neun Studien mit embryonalen Stammzellen zielen darauf ab, zerstör­tes Gewebe bei Makuladegenera­tion zu ersetzen, einer Augenerkrankung, bei der Zellen im Zentrum der Netzhaut (Makula) absterben. Dadurch geht die Fähigkeit des Scharfsehens verloren. Um diesen Prozess zu stoppen, züchten Forscher aus embryonalen Stammzellen einen Zellverbund, den sie dann in die Makula verpflanzen. „Dass Menschen mit bereits fortgeschrittenen Netzhautschäden durch diese Therapieoptionen wieder besser sehen, ist allerdings unwahrscheinlich“, sagt Krohne. Der Grund dafür: Die eingepflanzten Zellen können das Absterben von lichtempfindlichen Sinneszellen vielleicht verhindern – ersetzen können sie diese aber nicht. Doch es wäre schon ein großer Erfolg, wenn der gezüchtete Zellersatz die Netzhaut intakt halten könnte.

Vorsicht vor Stammzellkliniken im Ausland

Niemand kann es einem unheilbar Kranken verdenken, wenn er nach jedem Strohhalm greift, der Rettung verspricht. Doch skrupellose Anbieter machen aus der Not dieser Menschen ihren Profit. Sie locken die Verzweifelten mit falschen Verheißungen in ihre Kliniken und verkaufen ihnen für viel Geld nutzlose Stammzelltherapien, die schlimmstenfalls sogar schaden. Seit dem Jahr 2013 gelten überall in der Europäischen Union strenge Regeln, die solche Machenschaften verhindern sollen.

Doch andernorts blüht das Geschäft mit ungeprüften Therapien weiter. „Patienten reisen um die ganze Welt, um sich behandeln zu lassen“, sagt Ira Herrmann vom Kompetenznetzwerk Stammzellforschung in Nordrhein-Westfalen. Der Verbund sammelt bereits seit Langem Informationen über unseriöse Anbieter. Herrmann: „Wir schätzen, dass es weltweit mindestens 200 Kliniken sind.“ Sie befinden sich etwa in China, Indien, Mexiko und in Ländern des Nahen Ostens – und auch in den USA. Allein dort soll es mindestens hundert Stammzell­kliniken geben, haben US-Forscher vor Kurzem erhoben.

Werbung mit falschen Versprechungen

Wer im Internet nach solchen Angeboten sucht, wird schnell fündig. Für medizinische Laien ist nicht sofort zu durchschauen, dass dort mit falschen Versprechen geworben wird. Herrmann: „Viele Kliniken informieren auf gut gemachten Webseiten in mehreren Sprachen und bieten sogar einen Rückrufservice an. Manche scheuen auch nicht davor zurück, den Erstkontakt mithilfe von bezahlten Beratern herzustellen. Diese geben in Foren von Selbsthilfegruppen vor, selbst betroffen zu sein, und empfehlen bestimmte Kliniken.“

Unseriöse Angebote erkennen

Doch es gibt Möglichkeiten, unseriöse Anbieter zu erkennen. „Oft soll eine einzige Methode gegen einen Katalog von Krankheiten eingesetzt werden. Das aber kann nicht funktionieren“, sagt Herrmann. Denn die Stammzellen im Körper sind keine Alleskönner. Jede hat sich schon auf bestimmte Aufgaben spezialisiert. Einige bilden etwa Muskelzellen, andere zum Beispiel Nervenzellen. Hinzu kommt, dass auch Stammzellen nur begrenzt dazu fähig sind, zerstörtes Gewebe zu erneuern. Wäre dies anders, könnten sich lädierte Organe und Gewebe im Körper aus eigener Kraft regenerieren.

Eine Ausnahme stellen die Stammzellen im Knochenmark dar. Sie haben die Fähigkeit zur ständigen Erneuerung: Solange ein Mensch lebt, wird daher sein Blut mit frischen Zellen versorgt. Das machte es vergleichsweise einfach, diese Stammzellen therapeutisch zu nutzen. Erst kürzlich ist die oben beschriebene Stammzellbehandlung hinzugekommen. Sie erfolgt mithilfe eines Präparats, das die äußere Hornhautschicht des Auges erneuert.

Experimentelle Therapien im Rahmen klinischer Studien

Forscher entwickeln derzeit viele weitere Therapien. Einige werden in klinischen Studien an freiwilligen Testpersonen erprobt. Ob diese davon einen Nutzen haben werden, ist noch ungewiss. Wie die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung empfiehlt, sollten Patienten eine experimentelle Therapie auch nur dann erwägen, wenn sie im Rahmen einer klinischen Studie erfolgt. Innerhalb der Europäischen Union gibt es spätestens seit dem Jahr 2013 dafür auch keine andere legale Möglichkeit.

Klinische Studien garantieren ein Höchstmaß an Sicherheit für die Behandelten. So dürfen Menschentests mit Stammzellen erst dann erfolgen, wenn es dafür eine ausreichende wissenschaftliche Basis gibt. Weiterhin erfahren die Patienten vorab, welche Ziele die Studie verfolgt, wie sie abläuft und worin der mögliche Nutzen und Schaden aus der Behandlung besteht. „Mit dem Verpflanzen von Stamm­zellen könnte zum Beispiel auch ein erhöhtes Krebsrisiko verbunden sein. Ob dies der Fall ist, muss man immer abklären“, sagt Professor G. Steinhoff von der Universität Rostock, der bereits seit 15 Jahren Zellbehandlungen an Patien­ten, die nach einem Herzinfarkt eine Herzschwäche erleiden, erprobt.

Bei klinischen Studien haben die Behandelten keine Therapiekosten. Lässt sich ein Patient hingegen auf ein fragwürdiges Angebot ein, bezahlt er dafür eine vier- bis fünfstellige Summe, ohne einen Nutzen zu haben. Diese Erfahrungen machten auch Patien­ten, die sich in Deutschland und Italien bestimmten ­Kuren mit Knochenmark-Stammzellen unterzogen, bevor sie im Jahr 2011 verboten wurden. Die Patienten litten an Morbus Parkinson oder einer ähnlichen Krankheit, bei der bestimmte Hirnzellen zugrunde gehen. Zur Therapie spritzten Ärzte ihnen die körpereigenen Stammzellen in die Hirnflüssigkeit. 17 Behandelte ließen sich später von unabhängigen Experten nachuntersuchen. Ergebnis: Niemandem ging es nach dem Eingriff besser. Zwar hatte keiner dieser Patienten dadurch einen gesundheitlichen Nachteil erlitten – doch sie hatten dafür durchschnittlich knapp 11.000 Euro bezahlt.

Quelle: Dr. Achim G. Schneider Apotheken-Umschau