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Stammzellforschung: Neue Ergebnisse zu Induzierten Pluripotenten Stammzellen iPS

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Maßgeschneiderte menschliche Stammzellen

Heute möchten wir gerne einen etwas längeren Artikel zu einer neuen Entwicklung im Bereich der Stammzellforschung weiterleiten, auch wenn der Inhalt sehr detaillreich und langfristig scheint.

Wie man ausdifferenzierte, spezialisierte Körperzellen in pluripotente Stammzellen zurückverwandeln kann, wurde 2006 entdeckt. Schon sechs Jahre später wurde diese Entdeckung mit einem Medizinnobelpreis ausgezeichnet. Denn solche induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) eröffnen unerschlossene Horizonte für die Diagnostik und Therapie insbesondere degenerativer Erkrankungen wegen ihres Potenzials, sich in die unterschiedlichsten Zelltypen und Gewebe zu verwandeln. Deshalb zählt die Weiterentwicklung der iPS-Technologie heute zu den dynamischsten Feldern der medizinischen Forschung. Von besonderem Interesse ist die Frage, wie sich iPS-Zellen am besten in gewünschte Körperzellen umprogrammieren lassen. Die „Kochrezepte“ für diese Umwandlung sind jedoch häufig kompliziert und schwer umsetzbar. Forscher verschiedener Universitäten ( CRTD der TU Dresden, Harvard University (USA) und Universität Bonn) haben einen Weg gefunden, wie sich aus den iPS systematisch hunderte verschiedene Zellen schnell und einfach mit Hilfe von sogenannten Transkriptionsfaktoren gewinnen lassen. (Transkriptionsfaktoren sind DNA-bindende Proteine, die bei der "Umschrift" von DNA in ihre Transportform, der Boten- oder mRNA von Bedeutung sind). Die Ergebnisse sollen alle nun in „Nature Biotechnology“ veröffentlicht werden und Wissenschaftler die Quelle über eine Non-Profit-Organisation nutzen können.

Komplizierte Verfahren werden vereinfacht

Die Wissenschaftler verwendeten menschliche iPS, die aus Bindegewebszellen rückprogrammiert wurden, in einen quasi-embryonalen Zustand. Im Prinzip lassen sich aus iPS-Zellen alle möglichen ausdifferenzierten Zellen gewinnen – von der Nerven- bis zur Blutgefäßzelle, wobei jedes Rezept maßgeschneidert ist. „Die meisten Differenzierungsschritte sind sehr aufwendig und kompliziert. Sie können aus den iPS nicht gleichzeitig und kontrolliert in einer Kultur verschiedene ausdifferenzierte Zellen gewinnen“, sagt Prof. Dr. Volker Busskamp. Zusammen mit einem Team von der Harvard University, der TU Dresden und der Universität Bonn suchte er nach einem Weg, wie sich die komplizierten Verfahren durch einfache „Kochrezepte“ ersetzen lassen. Mit einem groß angelegten Screening fanden die Forscher insgesamt 290 Transkriptionsfaktoren, die Stammzellen schnell und effizient zu den gewünschten Zielzellen umprogrammieren. Die Forscher wiesen nach, dass jeweils nur ein Transkriptionsfaktor genügt, um binnen vier Tagen aus den Stammzellen ausdifferenzierte Nerven-, Bindegewebs-, Blutgefäß- und Gliazellen zu züchten. Letztere ummanteln als „Isolatoren“ Gehirnzellen.

Ein genetisches Schaltbrett für die Stammzelldifferenzierung

Mit automatisierten Verfahren konnten die Forscher 1732 potenzielle Transkriptionsfaktoren an drei verschiedenen Stammzelllinien testen und deren Bedeutung quantifizieren. Für 290 unterschiedliche Transkriptionsfaktoren fanden die Forscher dahingehend eine Wirkung, dass die iPS sich in ausdifferenzierte Zellen umwandelten. Das ist Neuland, weil diese Eigenschaft der iPS-Programmierung von 241 der entdeckten Transkriptionsfaktoren vorher nicht bekannt war. Am Beispiel der Nerven-, Bindegewebs-, Blutgefäß- und Gliazellen wiesen die Forscher mit verschiedenen Tests nach, dass die umgewandelten Zellen in ihrer Funktionsfähigkeit nahe an menschliche Körperzellen herankommen.

Die Ergebnisse stoßen neue Türen in der Forschung auf

„Der Vorteil der identifizierten Transkriptionsfaktoren besteht darin, dass sie besonders schnell und einfach iPS in Körperzellen umwandeln und sich daraus auch potenziell komplexere Gewebe bilden lassen“, sagt Busskamp. Was Wochen oder gar Monate dauerte, findet nun binnen Tagen statt. An Stelle aufwendiger und langwieriger Protokolle genügt bei den im Massen-Screening herausgefundenen Treffern nur ein Transkriptionsfaktor.

Erfolgreiche internationale Zusammenarbeit

„Diese Ergebnisse stoßen neue Türen auf“, sagt Prof. Dr. George M. Church von der Harvard University. „Die Vielfalt, Einfachheit und Schnelligkeit der Stammzellprogrammierung anhand von Transkriptionsfaktoren ermöglicht Stammzellforschung in großem Stil. Weltweit arbeiten bereits 50 andere Gruppen mit unseren programmierbaren Stammzelllinien sowie mit der Transkriptionsfaktorsammlung.“ „Die Kooperation der verschiedenen Forschungseinrichtungen war sehr erfolgreich, da die unterschiedlichen Disziplinen sich sehr gut ergänzt und verzahnt haben“, sagt Busskamp. Wissenschaftler können nun weltweit die Transkriptionsfaktoren nutzen, weil diese über die Non-Profit-Organisation Addgene bereitgestellt werden.

Langfristige Möglichkeiten auch für Netzhauterkrankungen

Busskamp sieht gerade auch als Experte für Degenerative Netzhauterkrankungen in der Augenheilkunde ein großes Potenzial für die Stammzell-Technologie. „Für Erkrankungen, bei denen die Netzhaut zugrunde geht, wie etwa bei der Altersbedingten Makuladegeneration (AMD), besteht die Hoffnung, irgendwann einmal die betroffenen Sehzellen mit Hilfe der Umwandlung von iPS zu ersetzen“, sagt Busskamp. „Mein Team arbeitet darauf hin.“

Originalpublikation:

Alex H.M. Ng, Parastoo Khoshakhlagh, Jesus Eduardo Rojo Arias, Giovanni Pasquini, Kai Wang, Anka Swiersy, Seth L. Shipman, Evan Appleton, Kiavash Kiaee, Richie E. Kohman, Andyna Vernet, Matthew Dysart, Kathleen Leeper, Wren Saylor, Jeremy Huang, Amanda Graveline, Jussi Taipale, David E. Hill, Marc Vidal, Juan M. Melero-Martin, Volker Busskamp, George M. Church: A comprehensive library of human transcription factors for cell fate engineering, Nature Biotech, DOI: 10.1038/s41587-020-0742-6; Abstract.

Quellen: idw-online.de, 30.11.2020; TU Dresden News vom 1.12.20; House of Pharma- Dialog.