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Usher-Syndrom 1G: Gentherapie bei Mäusen

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Gentherapie verhindert Taubheit und Gleichgewichtsstörungen bei Mäusen mit Usher-Syndrom 1G

Mäuse mit Usher-Syndrom Typ 1G können durch eine Gentherapie vor Taubheit und Gleichgewichtsstörungen bewahrt werden. Eine in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) vorgestellte Behandlung besteht aus einer einzelnen Injektion von veränderten Adenoviren, die in den ersten Lebenstagen durch das runde Fenster im Mittelohr erfolgt. Bevor diese Methode bei guter Verträglichkeit jedoch in klinischen Studien überprüft werden kann, müssen die Ergebnisse noch in weiteren Tiermodellen wiederholtt werden, die besser geeignet sind, um Erkenntnisse über die mögliche Anwendung beim Menschen zu erhalten.

Gerüstprotein der Haarzellen gestört

Das Usher-Syndrom ist eine Gruppe von erblichen Seh- und Hörstörungen, die durch Genmutationen in mindestens elf verschiedenen Genen ausgelöst werden. Beim Typ 1G ist das Protein SANS betroffen. SANS gehört zu den sogenannten Gerüstproteinen in den Stereozilien, den haarförmigen Fortsätzen der Haarzellen. Diese Stereozilien (oder auch Sterovilli) sind die beweglichen Teile der Mechanorezeptoren der Wirbeltiere, also spezieller Sinneszellen, die Haarzellen genannt werden. Sie reagieren im Gleichgewichtsorgan und im Innenohr auf eigene Lage- und Bewegungsänderungen und auf Schall.

SANS wird für die Verankerung der sogenannten „Tip-Links“ in den Stereozilien benötigt. Die „Tip-Links“ sind als dünne Proteinfäden zwischen den Spitzen (tips) der Stereozilien gespannt. Sie sorgen für eine stufenweise Aufrichtung der Stereozilien, die auf Bewegungen der Perilymphe (lymphähnliche Flüssigkeit zwischen häutigem und knöchernen Labyrinth des Innenohres) Nervensignale auslösen. Die „Tip-Links“ sind Voraussetzung für den Hörreiz und den Gleichgewichtssinn.

Ohne dieses Gerüstprotein SANS lösen sich die „Tip-Links“ aus ihrer Verankerung in den Stereozilien. Die Anordnung der Stereozilien geht verloren und eine Übertragung der mechanischen Reize (Wellenbewegung in der Perilymphe) auf die Nervenzellen bleibt aus.

Patienten mit Typ 1G des Usher-Syndroms sind von Geburt an taub. Da SANS auch in der Netzhaut benötigt wird, kommt bereits im Kindesalter eine Erblindung hinzu. Die verschiedenen Varianten des Usher-Syndroms sind die häufigste Ursache von erblicher Blind-Taubheit. Die einzige Behandlung besteht derzeit in der Versorgung mit einem Cochlea-Implantat, das wenigstens den Hörsinn teilweise wieder herstellt.

Adenoviren als Genfähren

Eine Gentherapie könnte die betroffenen Kinder möglicherweise vor dem Ertauben schützen, wenn sie rechtzeitig erfolgt. Die Behandlung würde in der Injektion von modifizierten Adenoviren (als Genfähren) durch die Membran des runden Fensters vom Mittelohr aus erfolgen. Die Viren würden über die Perilymphe zu den Haarzellen gelangen, diese Zellen infizieren und dann das Gen für das Protein SANS in ihnen ablegen. Da Innenohr und Gleichgewichtsorgan verbunden sind, könnte die Behandlung, so die Hoffnung, auch den Gendefekt im Gleichgewichtsorgan reparieren.

Versuche am Institut Pasteur in Paris

Ein Team um Christine Petit vom Institut Pasteur in Paris hat die Möglichkeiten der Therapie jetzt an Mäusen untersucht. Zunächst mussten die Forscher eine Variante der Adenoviren finden, die die Haarzellen im Innenohr und im Gleichgewichtsorgan infizieren. Die besten Ergebnisse wurden mit dem Adenovirus AAV8 erzielt.

Verbesserung der Schallempfindung bei Mäusen

Bei weiteren Versuchen wurden dann das Adenovirus mit dem SANS-Gen beladen und durch das runde Fenster in die Perilymphe von Mäusen injiziert, die den Gendefekt vom Typ 1G des Usher-Syndroms hatten. Die Behandlung wurde an neugeborenen Tieren im Alter von zweieinhalb Tagen durchgeführt. Nach wenigen Tagen kam es zu einer Verbesserung der Schallempfindung in den tieferen Frequenzen, während es in den höheren Frequenzen keine Veränderung gab.

Die Forscher schließen daraus, dass die Viren nicht alle Bereiche der Hörschnecke erreicht haben. In den erreichten Zellen kam es jedoch zur Normalisierung eines Molekülkomplexes, der für die Verankerung der Tip-Links benötigt wird.

Funktionserhalt des Gleichgewichtssinns

Überraschenderweise erholte sich der Gleichgewichtssinn noch besser als der Hörsinn. Die Tests an den Mäusen deuten sogar auf einen vollständigen Erhalt der Funktion hin. Dies ist erstaunlich, weil die Perilymphräume von Innenohr und Gleichgewichtsorgan nur über eine kleine Öffnung miteinander verbunden sind.

Internationales Symposium in Marokko

Die Forscher wollen sich nun mit ihren Kollegen austauschen. Sie haben ein internationales Symposium organisiert, das bereits im November in Marrakesch stattfinden soll. Zu den wichtigen offenen Fragen gehört auch, wie groß das zeitliche Fenster der Erkrankung ist und ob die Erkrankung bei den betroffenen Kindern rechtzeitig diagnostiziert werden kann.

Quellen: aerzteblatt.de, PNAS Vol.114, 2017, Pressemitteilung Institut Pasteur, Internationales Symposium in Marrakesch.