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Weitere Lichtblicke bei der Kostenübernahme der TES-Therapie

Bereits in der Vergangenheit haben wir Sie über die Rechtslage im Zusammenhang mit der Kostenübernahme für die TES-Therapie informiert. Da sich einige neuere Entwicklungen ergeben haben, möchten wir diese kurz darstellen. Die TES-Therapie, die Transkorneale Elektrostimulation mit dem OkuStim®System, ist eine der ersten ambulanten Therapiemöglichkeiten für Retinitis pigmentosa (RP) überhaupt, deren Wirksamkeit in klinischen Studien belegt wurde. Leider ist die TES-Therapie nach wie vor nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) enthalten.
Allerdings wird derzeit die „Evaluation der Wirksamkeit einer Transkornealen Elektrostimulation bei Patienten mit Retinitis pigmentosa – Eine multizentrische, prospektive, randomisierte, kontrollierte und doppelblinde Studie im Auftrag des Gemeinsamen Bundesaussschusses (G-BA)“ durchgeführt. Diese soll die Effektivität der Behandlung mit der TES-Therapie abschließend testen und die Voraussetzung für die Aufnahme in den Leistungskatalog der GKV schaffen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist gewesen, dass die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), die Retinologische Gesellschaft (RG) und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V. (BVA) in ihrer Leitlinie vom 18.09.2021 die Elektrostimulation bei RP (zum Beispiel im Rahmen der Erprobungsrichtlinie des G-BA) als Therapiemöglichkeit genannt haben. Dies bekräftigt, dass der TES-Therapie ein Nutzenpotential zugesprochen wird, sich also positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken kann, was von den gesetzlichen Krankenkassen bisher meist bestritten wird.

Obwohl das Zulassungsverfahren bisher nicht abgeschlossen ist und die TES-Therapie bisher nicht im durch den G-BA geschaffenen Leistungskatalog enthalten ist, kann in begründeten Einzelfällen die Kostenübernahme durch die GKV erfolgen. Es kommt nämlich eine Kostenübernahme nach § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht. Danach kann sich im Einzelfall bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine Pflicht der GKV zur Finanzierung der Krankenbehandlung ergeben.

In § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V heißt es: „Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig  vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.“

Die Gesetzesbegründung fordert für eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation. Dies kann der Fall sein, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls droht, dass sich der tödliche Krankheitsverlauf oder die wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird. Als vergleichbare Erkrankung kommt dabei der akut drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans in Betracht. Dies wurde durch das Bundessozialgericht für den Verlust des Augenlichts auch konkret bestätigt. Problematisch ist in diesen Zusammenhang, dass der Verlust des Augenlichts sich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums  wahrscheinlich verwirklichen muss, also quasi unmittelbar oder zumindest absehbar mittelfristig bevorstehen muss. Dies ist auch der häufigste Ablehnungsgrund der gesetzlichen Krankenkassen, die oft eine genaue Prognose fordern, die aber nicht abgegeben werden kann.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 18.02.2020, Az.: L 11 KR 2478/19 wie folgt ausgeführt: „[…] Die Retinitis Pigmentosa ist keine  lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung, sie ist jedoch wertungsmäßig mit solchen Erkrankungen vergleichbar. Eine drohende Erblindung ist nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung wertungsmäßig vergleichbar; lediglich hochgradige Sehstörungen reichen nicht aus (BSG 24.04.2010, B 1/3 KR 22/08 R, SozR 4-1500
§ 109 Nr 3). Mit dem linken Auge kann die Klägerin nur noch Handbewegungen bzw.
zeitweise nur noch Lichtschein sehen: Sie ist damit funktionell nur noch einäugig. Am
rechten Auge besteht nur noch ein Visus von 0,02, ein Gesichtsfeld ist seit 2018 nicht
mehr messbar. Die Klägerin gilt damit nach dem Gesetz als blind. Angesichts dieses
sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsverlaufs liegt eine notstandsähnliche Situation mit einem gewissen Zeitdruck vor, denn angesichts des nur noch sehr geringen vorhandenen Restsehvermögens führt jede weitere Verschlechterung zu einem irreparablen Schaden. Eine Behandlung mit dem Ziel der Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung muss daher so schnell wie möglich beginnen, um noch möglichst viel an Restsehvermögen erhalten zu können. Insoweit ist auch ein nur noch geringes Restsehvermögen für die Klägerin von überragender Bedeutung, denn selbst eine nur noch mögliche Lichtwahrnehmung erleichtert die Orientierung im Raum. Der notstandsähnlichen Situation steht daher nicht entgegen, dass der Zeitpunkt der vollständigen Erblindung im Sinne einer fehlenden Lichtwahrnehmung nicht genau prognostiziert werden kann. […]“

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass ein Anspruch auf Kostenübernahme
für die TES-Therapie bestehen kann. Es ist jedoch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Erkrankung schon so weit vorangeschritten sein muss, dass bereits eine erhebliche Einschränkung des Gesichtsfelds bei der betroffenen Person besteht. Ein Antrag auf Kostenübernahme kann sich also durchaus lohnen.