Möchten Sie die Darstellung der Website ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen?
Die Einstellungen können Sie auch später noch über das Symbol ändern.

Zum Inhalt springen

3. PRO RETINA Forschungskolloquium

Mehr Licht ins Dunkel: Die schwierige Suche nach Therapien für erbliche Netzhauterkrankungen

In Deutschland wird etwa eines von 4.000 Kindern mit einer erblichen Netzhauterkrankung geboren. Am häufigsten tritt die Retinitis Pigmentosa (RP) auf – rund 30.000 Menschen leben hierzulande mit dieser Diagnose. Typisch ist ein Beginn mit Störungen des Dämmerungssehens, gefolgt von Nachtblindheit. Danach verengt sich das Gesichtsfeld fortschreitend zum sogenannten Tunnelblick; oft endet die Erkrankung in völliger Erblindung.

Zu den seltenen retinalen Erkrankungen gehören auch genetisch bedingte Formen wie die Sorsby-Fundusdystrophie oder die Doyne’sche Honigwaben-Dystrophie. Da diese Erkrankungen im Vergleich zu Volkskrankheiten selten auftreten, werden sie als Orphan Diseases („Waisenkrankheiten“) bezeichnet.

Diagnose möglich, Therapie kaum

Eine ernüchternde Realität begleitet fast alle erblichen Netzhauterkrankungen: Die Diagnose kann heute oft präzise gestellt werden – manchmal bereits im Kindesalter –, doch wirksame Therapien fehlen in den allermeisten Fällen.

„Wirksame therapeutische Optionen haben wir nicht“, sagt Prof. Klaus Rüther, Augenklinik der Berliner Charité.

Hinzu kommt die große individuelle Unsicherheit: Der Verlauf ist schwer vorherzusagen und reicht von langsamer Progression bis zur raschen Erblindung. Für viele ist diese Ungewissheit ein ständiger, unsichtbarer Begleiter – eine enorme psychische Belastung, wie PRO RETINA aus der Betroffenenperspektive berichtet.

Eine Krankheit – viele genetische Ursachen

Warum die Verläufe so unterschiedlich sind, zeigt ein Blick in die Genetik:

  • Über 45 Gene können eine RP auslösen.
  • Mutationen liegen auf verschiedenen Chromosomen, teilweise auf den Geschlechtschromosomen.
  • Mehr als 100 verschiedene Mutationen wurden allein im Rhodopsin-Gen entdeckt.

Heute kennt man bereits über 140 Gene, die unterschiedlichen erblichen Netzhauterkrankungen zugeordnet sind – Tendenz steigend. Erbliche Netzhauterkrankungen sind damit deutlich komplexer als noch vor wenigen Jahren angenommen.

Forschung sucht die Wurzeln im genetischen Untergrund

Beim Forschungskolloquium der PRO RETINA Stiftung berichteten Wissenschaftler über neue Erkenntnisse zu Genen, die an der Entstehung verschiedener Netzhauterkrankungen beteiligt sind.

Dieses Wissen ist entscheidend, denn:

  • Die genetische Ursache kann künftige Prognosen erleichtern,
  • und Patientinnen und Patienten Ängste und Unsicherheit nehmen,
  • zudem ist sie Voraussetzung für zielgerichtete Therapien.

Komplexe Netzwerke: Gene, Proteine und Zellfunktionen

Die Forschung geht längst über das reine Identifizieren einzelner Gene hinaus.

„Wir analysieren komplexe Netzwerke aus Genen und Proteinen“, sagt Prof. Bernhard Weber, Humangenetiker an der Universität Regensburg. Diese Netzwerke bestimmen, wie Zellen funktionieren – oder warum sie versagen.

Ein Beispiel: Das Bardet-Biedl-Syndrom, eine besondere Form der RP, wird durch Mutationen in mindestens elf Genen ausgelöst – alle wirken im gleichen funktionellen Netzwerk.

Modellkrankheiten und Tiermodelle

Ein wichtiger Teil der Forschung basiert auf Tiermodellen und Modellerkrankungen:

  • Einige Erkrankungen, z. B. Nachtblindheit oder Störungen des Farbensehens, sind stationär – sie verschlechtern sich nicht.
  • Durch die Untersuchung solcher „einfacher“ Defekte gewinnen Forschende grundlegende Erkenntnisse über komplexere degenerative Erkrankungen.

Prof. Olaf Strauß, Universität Hamburg, erläutert: Untersuchungen an Modellsystemen helfen auch beim Verständnis der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), bei der Gene und Umweltfaktoren zusammenwirken.

Auch erfolgreiche Gentherapie-Experimente an einer Hunderasse mit LCA-Mutation zeigen, dass ein genetischer Defekt zumindest im Tiermodell korrigierbar ist.

Erkenntnisse aus der Mausforschung

Viele Erkenntnisse stammen aus Arbeiten mit Mausmodellen, bei denen Gene gezielt ausgeschaltet wurden, um Krankheitsmechanismen nachzustellen. Dazu gehören:

  • Störungen im Vitamin-A-Stoffwechsel (z. B. Morbus Stargardt)
  • Ansammlung von Lipofuscin, einem schädlichen Stoffwechselprodukt
  • Mechanismen der Signalübertragung zwischen Sehzellen

Je genauer diese Mechanismen verstanden werden, desto klarer zeichnen sich mögliche therapeutische Ziele ab.

Hoffnung auf neue Therapien

„Wenn wir die grundlegenden Krankheitsprozesse besser verstehen, eröffnen sich Optionen für gezielte Eingriffe“, so Prof. Bernhard Weber. Prof. Klaus Rüther ergänzt:
„Schon heute wissen wir, dass bestimmte Genveränderungen langsamer voranschreiten, wenn die Augen vor blauem Licht geschützt werden.“

Allein eine präzisere Diagnostik kann daher bereits einen Nutzen für Betroffene bringen.

Gen-Blockade durch RNA-Interferenz

Forscher berichten auch über Ansätze, mutierte Gene gezielt auszuschalten – mithilfe der sogenannten RNA-Interferenz. Hierbei wird nicht das Gen selbst blockiert, sondern das RNA-Botenmolekül, das für die Produktion eines defekten Proteins verantwortlich ist.

Diese Methoden befinden sich noch im frühen experimentellen Stadium:

  • Experimente mit Zellkulturen
  • Studien mit Mäusen

Doch erste Ergebnisse zeigen, dass der Ansatz grundsätzlich funktionieren kann.

Stammzellen fürs Auge

Auch stammzellbasierte Therapien werden erforscht:

  • Embryonale Stammzellen
  • Neuronale Stammzellen
  • Vorläuferzellen der Netzhaut

Forschergruppen aus Hamburg und der Charité untersuchen:

  • ob Transplantationen sicher sind,
  • ob Stammzellen durch Genübertragung umprogrammiert werden können,
  • und ob diese Zellen heilende Faktoren produzieren können, die Nervenzellen schützen.

Noch ist offen, wann solche Ansätze in klinische Studien übergehen. PRO RETINA sieht im engen Austausch zwischen Labor und Klinik einen entscheidenden Beschleuniger.

PRO RETINA Stiftung zur Verhütung von Blindheit

Die 1996 gegründete, inzwischen rechtlich eigenständige Stiftung:

  • fördert Forschung zu Netzhauterkrankungen,
  • vergibt finanzielle Mittel für innovative Projekte,
  • und unterstützt Initiativen, die langfristig wirksame Therapien ermöglichen sollen.

PRO RETINA Deutschland e. V.

Der Verein wurde 1977 von Betroffenen und Angehörigen gegründet und zählt heute:

  • ca. 6.400 Mitglieder,
  • 65 Regionalgruppen deutschlandweit.

PRO RETINA bietet:

  • Beratung und Information,
  • Vernetzung unter Betroffenen,
  • und engagiert sich aktiv in der Forschungsförderung und Patientenvertretung.

Pressestelle:
Barbara Ritzert
ProScience Communications GmbH
Andechser Weg 17
82343 Pöcking
Tel.: 08157/9397-0