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Wege aus der Depression

Aus dem Schwerpunkt "Depression bei Sehverlust", Retina aktuell Nr. 150 (04/2018)
Von Diplom-Psychologe Siegfried Maier

Es gibt die Wege aus der Depression und ein erfülltes und glückliches Leben danach, denn Depressionen können behandelt werden. Depressionen betreffen in unserer westlichen Welt fast 15 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben, unabhängig von der gleichzeitig bestehenden Netzhautdegeneration. Doch der Kummer über die schlechten Augen kann Vorschub leisten für eine Depression.

Die Stimmungslage als rechtzeitiger Wegweiser zum Arzt

Je früher professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, desto besser lassen sich Wege aus der Krise finden. Die ersten Krankheitszeichen sind für den Laien recht unspezifisch. Deutlichere Verdachtsmomente wie mangelnder Antrieb, Schwunglosigkeit und rasche Erschöpfbarkeit beantwortet die betroffene Person häufig mit dem Versuch, sich zusammenzureißen. Es ist jetzt aber schon Zeit, einen Arzt aufzusuchen. Stattdessen werden die Beschwerden oft vor sich selbst und anderen heruntergespielt. Erst zusätzliche Angstzustände, Reizbarkeit, Überempfindlichkeit und Grübelneigung, oft zusammen mit den verschiedensten Körperbeschwerden, werden zu Alarmzeichen. Jede weitere Verzögerung des Arztbesuchs ist jetzt unverantwortlich.

Nach der gesicherten Diagnose kommt der Therapieplan. Es ist wichtig, dass der Patient und seine Helfer den Maßnahmen des Arztes vertrauen. Der Patient darf nicht den Eindruck haben, dass er einen Kampf gegen die Krankheit und zusätzlich gegen den Arzt, seine Therapie und gegen die Angehörigen führen muss, sondern dass alle mit ihm eine Therapiegemeinschaft zu seinem Wohle bilden wollen. Eine mögliche Einnahme der verordneten Medikamente gehört zur festen Vereinbarung. Ein heimliches Sammeln von Tabletten muss immer offen angesprochen werden. Ist dies eine Ablehnung der Therapie? Oder besteht gar eine Suizidgefahr mit Hilfe der gesammelten Tabletten?

Der lange Weg zur Besserung

In den ersten Behandlungstagen tritt normalerweise noch keine Besserung ein. Hintergrund ist die bewusst niedrige Dosierung der Medikamente, um Nebenwirkungen vorzubeugen. Die Dosis wird langsam bis zum Wirkungseintritt gesteigert. Diese Wochen, manchmal gar Monate, fordern allen Beteiligten, der betroffenen Person und ihren Angehörigen viel Kraft, Geduld und Ausdauer ab – der Arzt weiß um diese notwendige Zeit und um die Not und die Ungeduld seiner Patienten. Die Geduld wird noch mehr herausgefordert, falls die Medikamente auch noch umgestellt werden müssen, um etwa den antidepressiven Effekt zu verstärken, um die aufgetretenen Nebenwirkungen zu reduzieren oder Ähnliches.

Im Laufe einer längeren Behandlung kann es auch zu Verschlechterungen kommen. Dies ist kein Grund zur Panik und bedeutet auch keinen Rückfall. Es gibt ja auch in gesunden Zeiten Befindlichkeitsschwankungen, die zu schaffen machen, ohne dass man gleich das Schlimmste annimmt. Und so ist es auch während der Genesungszeit.

Psychotherapeutische Hilfe

Für einen dauerhaften Therapieerfolg ist eine begleitende psychotherapeutische Behandlung oft wichtig. Eine Psychotherapie wird in den meisten Fällen längere Zeit in Anspruch nehmen. Wenn es sinnvoll und nützlich ist, werden die verantwortlichen Behandler die beiden Therapieformen kombinieren. Voraussetzung für den Erfolg ist eine Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Therapeut. Deshalb gibt es in Deutschland jetzt die Möglichkeit, nach einer eher informellen sogenannten Sprechstunde zunächst bis zu vier Probesitzungen bei einem gewählten Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen. Die Suche nach einem geeigneten Psychotherapeuten kann unter Umständen länger dauern. Die Wartelisten sind oft lang. Deswegen lohnt sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme zu verschiedenen Therapeuten. Welche psychotherapeutischen Verfahren eingesetzt werden, hängt vom Zustand des Patienten ab. Die häufigsten Verfahren sind die Verhaltenstherapie, das tiefenpsychologisch orientierte und das analytische Vorgehen. Doch auch Gruppentherapie und Musiktherapie, auch Entspannungsverfahren und körperorientierte Methoden können effektiv sein. In der Paar- und Familientherapie wird das engere soziale Umfeld des Patienten einbezogen.

Was können Angehörige tun?

Angehörige dürfen zeitweise darauf achten, dass die Medikamente regelmäßig eingenommen und Arzt- oder Therapietermine pünktlich wahrgenommen werden. Wenn der Erkrankte aufgeben will, können sie ihn zur Fortsetzung der Therapie ermuntern. Gleichgültig wie verschlossen, abweisend, klagend der Betroffene auch sein mag, er nimmt trotzdem sehr genau wahr, wie sich sein Gegenüber verhält, etwa ob dieser ihm zugewandt ist. Vor allem in der Zeit, bevor die Erkrankung erkannt wird, reagieren Freunde und Angehörige auf das abweisende Verhalten immer wieder verärgert, mit der Folge, dass der depressiv Erkrankte sich noch mehr zurückzieht. Er weiß sehr wohl, dass er für die Umgebung eine Belastung darstellt. Typischerweise hat der depressiv erkrankte Mensch nur einen schlechten Zugang zu seinen Gefühlen. So kann er seinen Dank nicht ausdrücken. Er kann krankheitsbedingt auf liebevolle Zuwendung nicht angemessen reagieren. Dies ist keine gezielt persönliche Missachtung des Helfenden. Er leidet selbst unter der Unfähigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken.

Einen Menschen durch die Depression hindurch zu begleiten kostet viel Kraft. Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht, wenn die eigenen Kräfte drohen zu Ende zu gehen. Wir dürfen als Partner oder Helfer nicht alle unsere Bedürfnisse völlig zurückstellen. Deshalb sollten Helfer immer auch noch ihre eigenen Interessen und Hobbys betreiben. Keinem Kranken ist geholfen, wenn die Helfer sich überfordern und irgendwann selbst zusammenbrechen. Als Begleiter sollten wir rechtzeitig die für uns nötige Hilfe anfordern. Nur wer sich auch selbst noch einen Ausgleich gönnt, sich Auszeiten nimmt und Kontakte nach draußen pflegt, wird die Zeit, Kraft und Ausdauer aufbringen, die zu einer längerfristigen Begleitung des depressiv Erkrankten nötig ist.